Staralbum: Die Radikale
„Nichts ist alltäglich, wenn man die Menschen mit Empathie und Liebe filmt“, sagt Agnès Varda in ihrem autobiografischen Film „Varda par Agnès“. Sie begann auf diese Art zu filmen, als das Kino noch eine junge Kunstform war, Anfang der 1950er Jahre. Sie selbst war damals eine junge Frau, Mitte zwanzig.
Varda gilt als Wegbereiterin der Nouvelle Vague, als deren Großmutter und Godmother, und lange bezeichnete sie nur selten jemand präziser als eine der wichtigsten FilmemacherInnen dieser Stilrichtung und unserer Zeit. 2017 erhielt sie einen Oscar für ihr Lebenswerk. Sie tanzte auf der Bühne.
Varda wird auf der Berlinale-Pressekonferenz also wenig überraschend als „Legende“ vorgestellt. Sie – lila Bluse, lila Schal, der berühmte grau-lila Topfschnitt – schlägt die Hand vor das Gesicht: „Ich bin keine Legende, ich lebe noch.“
Sie ist inzwischen 90. Etwas später sagt sie zwar, dass sie sich darauf vorbereitet, Abschied zu nehmen, sie sagt aber auch: „Ich bleibe neugierig. Wenn du neugierig bist, gibt es immer etwas zu entdecken.“ Klingt wie eine Platitude? Diese Frau brachte Kartoffeln zum atmen!
Varda liebt das Experiment, sie führte Figuren von einem Film in den nächsten, mischte Fiktion und Dokumentation, Profis und Laien, Farbe und Schwarz-Weiß, fand für jeden Film die einzig mögliche Struktur.
Inspiration, Kreation und das Teilen mit anderen – diese drei Dinge treiben sie an, sagt Agnès Varda. Der Spirit sei immer gewesen, sich um Menschen zu kümmern, sich für sie zu interessieren. Empathie und Liebe eben, aber auch Humor, Spontaneität und Poesie. „Ich bin auf der Seite der Arbeiter, der Frauen. Wie Sie wissen, bin ich eine fröhliche Feministin“, sagt Varda.
Vorher hat sie allerdings schon grundsätzlich geklärt: „Mich interessiert es nicht, eine weibliche Filmemacherin zu sein. Mich interessiert radikaler Film.“ Radikal heißt bei Varda auch radikal persönlich. Ihre Filme stellen Fragen, beschreiben eine Suche, bieten keine Lösung. Nur mit einem Film habe sie auch Geld gemacht, sagt Varda, mit „Cleo – Mittwoch zwischen 5 und 7“ aus dem Jahr 1961.
Woher kommt die endlose Inspiration? „Denken ist schön. Es ist ein Kampf, nicht dumm zu sein. Ich bekämpfe meine eigene Dummheit“, sagt Agnès Varda. Was die Zukunft angeht, halte sie es mit dem italienischen Philosophen Antonio Gramsci, der in einem Brief an seinen Bruder schrieb: „Ich bin Pessimist aufgrund der Einsicht, aber Optimist aufgrund des Willens.“ Viktoria Morasch
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