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Archiv-Artikel

Standesamt statt Schützengraben

Jeder Wehrpflichtige kann jetzt die Einberufung umgehen – indem er heiratet. Das gilt selbst dann, wenn er sein Land verteidigen müsste. Lobbyorganisation der Kriegsdienstverweigerer: So eine Wehrpflicht „ist nur noch eine Farce“

FREIBURG taz ■ Wer heiratet, muss nicht in den Krieg ziehen. Auf diese seit dem 1. Oktober geltende Neuregelung macht jetzt die Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer aufmerksam. „Im Verteidigungsfall haben Männer künftig die Wahl: Gehe ich in den Schützengraben oder zum Standesamt“, erklärt Peter Tobiassen, der Geschäftsführer der Lobbyorganisation. Unter diesen Umständen habe die Wehrpflicht endgültig ihre Berechtigung verloren.

Mit der Neuregelung wurden zahlreiche Ausnahmeregelungen ins Wehrpflichtgesetz aufgenommen, die bisher nur aufgrund eines Erlasses von Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) vom Juli 2003 galten. Männer, die verheiratet oder älter als 23 Jahre sind oder den Musterungsgrad T 3 erhielten, werden seitdem nicht mehr zum Wehrdienst eingezogen.

Zahlreiche Verwaltungsgerichte sahen dadurch die Wehrgerechtigkeit bedroht. Sie forderten eine gesetzliche Regelung. Das Verwaltungsgericht Köln setzte die Wehrpflicht im Raum Köln/Bonn sogar ganz aus. Mit der Ergänzung des Wehrpflichtgesetzes hat der Bundestag solchen Klagen von Wehrpflichtigen vorerst den Boden entzogen.

Mit Erstaunen stellte die Zentralstelle jedoch fest, dass die Ausnahme für Ehemänner sogar im Verteidigungsfall gilt. „Das ist das erste Mal, dass man sich durch bloße Willenserklärung der Mobilmachung entziehen kann.“ Vorausgesetzt, man hat eine heiratswillige Frau – oder einen Mann. Denn die Regelung gilt auch für eingetragene Lebenspartnerschaften. „Theoretisch können zwei Soldaten sich so gemeinsam vor dem Kriegseinsatz retten“, gibt Tobiassen zu bedenken.

Möglicherweise würde diese Bestimmung in Krisenzeiten wieder geändert. Für die Zentralstelle ist aber klar, dass die Wehrpflicht nicht mehr zu halten ist, wenn selbst die Bundeswehr für den Kriegsfall nicht mehr ernsthaft mit dem Einsatz ihrer Wehrpflichtigen rechnet. „So eine Dienstpflicht ist nur noch eine Farce“, erklärt Tobiassen.

Die Zentralstelle, die schon seit Jahren die Abschaffung der Wehrpflicht fordert, setzt nun vor allem auf ein Umdenken der SPD. Die will am 13. November auf einer Fachtagung mit Fraktionsspitze und den zuständigen Ministern über die Zukunft von Wehr- und Zivildienst beraten. Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Bundestag in einer Entscheidung aus dem Jahr 2002 weitgehend freie Hand gelassen.

CHRISTIAN RATH