Standbild: Auf Seelenwanderschaft
■ Der Zweiteiler "Tod auf Bali" im ZDF
Langsam kriecht die Kamera auf ein erleuchtetes Fenster zu. Es donnert und blitzt. Sturmböen peitschen den Efeu an die Hauswand. Dann der Blick ins Zimmer und schon sind wir mitten drin in der Geschichte und haben doch das Beste — nämlich ihren Anfang — schon hinter uns. Ab jetzt wird es nur noch schlechter:
Martin (Patrick Inderst), der Sohn der Linhardts, leidet unter seltsamen Anfällen. Er halluziniert eigenartige Schattenspiele und brabbelt mit einer fremden Zunge. Alles sehr rätselhaft. Die rechtschaffenen, aber etwas tumben Eltern (Katja Flint und Wolfram Berger) sind verzweifelt. Doch die prima-patente Psychologin Senta Frensdorff (Judy Winter) weiß Rat. Na, klar: Wiedergeburt! Ganz offensichtlich quält sich die Seele des Jungen mit Ereignissen aus einem früheren Leben herum. Mehrere Indizien sprechen dafür, daß des Rätsels Lösung in der Südsee liegt. Also fliegt die ganze Bagage nach Bali.
Es stellt sich heraus, daß dort vor Jahren ein ungeklärter Mord passiert ist. Bei einem Besuch im Dorf des Toten wird Martin sofort als dessen Wiederverfleischlichung erkannt und die herzlichen Balinesen wollen den Kleinen vor Freude gleich bei sich behalten. Doch auch die Mörder von Martins Vorgänger sind noch da. Der böse Deutsche Dr. Danilo (Pinkas Braun) läßt in seiner Andenkenfabrik Tinneff für die Touris produzieren und betreibt zusätzlich einen florierenden Elfenbeinschmuggel. Klar, daß sich so ein Finsterling von diesem ganzen Reinkarnations-Budenzauber nicht beeindrucken läßt: Wenn der Kerl nach einem Mord weiter lebt, dann bringt man ihn einfach nochmal um die Ecke.
Kurz und gut: es sieht vorübergehend verdammt schlecht aus für den kleinen Martin. Aber keine Sorge. Ein bißchen Suspense und schon - schwupp! — kommt das Happy-End. Der Abspann rollt, die Sonne sinkt, das Gamelan klingt und Martin ist wieder ganz Martin.
Das Ganze ist ein gerademal durchschnittliches Stück Fernsehunterhaltung und wäre eigentlich nicht der Rede wert. Doch seltsamerweise erscheinen die Ungeheuer der Vernunft oft und gerne im Stoff des Trivialen. So ist in der Figur des Martin gleichsam die Proto-Psyche des modernen Touristen gegeben. Die kranke, weil fremde Seele in der Brust, reist er in das fremde Land, um dort kuriert zu werden. Tourismus als Psychotherapie: Die Angst vor dem inneren Anderen versucht sich am äußeren Anderen abzuarbeiten. Das geschieht, indem die Fremde ihrer Andersartigkeit beraubt wird. Das ist die Essenz des Massentourismus, die Gleichmachung des Fremden: man spricht deutsch“ auf Bali, Coca Cola im Kongo und das Wiener-Schnitzel auf Hawai. Das fremde Land wird touristisch kolonialisiert und alles, was trotzdem noch abweicht, ist „pittoresk“. Wie diese „Exotik“ aussieht, konnte man im Tod auf Bali ausgiebig studieren. Die andere Kultur dient als Kulisse für einen Neckermann-Trip ins Reich der Esoterik.
P.S. Nach den exegetischen Ausschweifungen noch ein kleiner Trost: Wer angesichts dieser neuen Ausgabe von öffentlich-rechtlicher Dünnpfiff-Unterhaltung an Diarrhöe zugrundezugehen fürchtet, hat jetzt ja vielleicht Aussichten auf eine Wiedergeburt. Dann jedoch empfiehlt der Kritikaster die Seelenwanderung dringend in umgekehrter Richtung anzutreten: nicht von Bali nach Deutschland, sondern von Deutschland nach Bali. Ich weiß nicht, ob das Fernsehen dort besser ist, das Klima aber ist es auf jeden Fall. Martin Muser
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