Standbild: Zeigelustig
■ "Liebe Sünde", Vox
„Liebe Sünde“, Vox, Donnerstag, 23.10 Uhr
Das Sex-Magazin stand diesmal unter dem Zeichen der Zeigelust. Alfred Esser, ein inzwischen recht medienerfahrener Schamverletzer, und Gründer einer Exhibitionisten-Selbsthilfegruppe, erzählte mit bewegter Stimme aus seinem Leben. Psychisch sei er in seiner Kindheit kastriert worden durch die Mutter, die ihm das Recht auf sexuelle Empfindungen abgesprochen hätte, „Anerkennung, vielleicht einen wohlwollenden Blick“ suche er bei seiner „Zielgruppe“. Jede Annäherung, selbst Augenkontakt würde er bei seinen „Zeigeaktionen“ vermeiden und schäme sich nach jedem Mal.
Quasi als Pendant zu Alfred Esser hüpfte eine unter ihrem Mantel ganz nackte Frau über eine Einkaufsstraße. Dann sprang die weltberühmteste „Exhibitionistin“, Madonna, ins Bild. Ganz abgesehen davon, daß die Sängerin nie ihre Möse in die Kamera, also tatsächlich etwas zurückgehalten hatte, wirkte der Vergleich recht gewollt. Im Gegensatz zu dem traurigen Herrn Esser, den Leidensdruck überwältigt und in 90 Prozent aller Fälle Ekel und Verachtung trifft, ist Madonna „eine Frau, die sich selber als Produkt verkauft und diesen Verkauf selber organisiert“, wie die kluge, sympathische Buchautorin Christel Dormagen („Madonna-Phänomen“) anmerkte. Während sich Madonna als Ware souverän vermarktet, unterliegt der Exhibitionist passiv und lächerlich einsam, mag er auch manche Frau noch erschrecken. Wieso wird bei Männern das sanktioniert, was bei Frauen keinen Anstoß erregen würde? scheinheiligte Moderator Frings, als gäbe es keine Geschlechtsunterschiede. Sympathisch mürrisch murmelte ein Hamburger Diplompsychologe, daß das doch die falsche Frage sei und im übrigen sei Exhibitionismus wohl eine Art, „mit erlittenen Schmähungen und Kränkungen kreativ umzugehen“.
Im Ungefähren blieb all das, was intellektuell interessant hätte sein können – das Produktive an hinkenden Vergleichen von Männer- und Frauenkörpern z.B. Am Ende hieß es im Vox-Trailer nur: „Bleiben Sie dran – wir zählen Sie mit.“ Denn ein großer Bruder sitzt in jedem Fernsehapparat und kontrolliert, was jeder einzelne so sieht. Wenn man ausschaltet, droht er, wird auch der Vox-Kanal dichtgemacht. Vielleicht kann man den großen Bruder überlisten. Man müßte einfach den Apparat weiterlaufen lassen. Ohne Hemd und ohne Höschen. Ohne Ton und ohne Bild. Detlef Kuhlbrodt
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