■ Standbild: Abgenickt
„Nachgefragt“, RTL;
„Zur Sache, Kanzler“, Sat.1, Montag, 22.15 Uhr
Politische Bildung ist ein zartes Pflänzchen – da muß man vorsichtig sein. Besonders im Unkrautgarten von RTL, wo sonst montagabends Olaf jätet, bis es kracht. Da muß schon Reserveleutnant und Chefredeakteur Dieter Lesche selbst antreten, um das für Polit-Prominenz so unangenehme Treibhausklima so niedrig wie möglich zu halten. Keine Schweißperlen und keine Zwischenrufer drangen ins didaktische Dekor des Studios und zu Finanzminister Waigel vor. Brav auferstanden die Frager aus dem Auditorium in Hörsaalform, nannten Namen und Anliegen. Waigel blühte auf in seinen als Replik getarnten Monologen. Da wurden Staatsschulden zum Bonus-Sparen („Anlagekapital schaffen“) und die Vergangenheit zur Zukunft (Heitmann sei ein „hervorragender Präsident nach Carstens“).
Der Jovialist konterte sogar den Sparvorschlag des Kabarettisten Matthias Beltz (überflüssige Spione in die Steuerfahndung), den er schon mit zwanzig BNDlern realisiert hat. Eine dröge Parteitagsnummer, dargebracht in einer Sendeform, die die ARD schon Ende der sechziger Jahre eingemottet hat.
Klartext nur in der Unterbrecherwerbung: Kümmert Euch selbst um Eure private Altersversorgung! Gönn' Dir den „kernigen Off-Roader“! Stoß mit Schampus an! Realsatirisch offenbarte dann die Live-Schaltung in einen Münchner Bierkeller die echten Probleme: Da klagte die Wirtin in handverlesener Tischrunde über die Zukunft, wenn die Honoratioren mit dem Spanferkel nicht weiterhin auch ihre Steuern vertilgen dürfen. Leises Aufstöhnen in Bischofferode.
Zeitgleich und sogar eine werbelose Stunde lang ergänzte Sat.1 in perfider Konkurrenz den TV-Unionsparteitag um die Sendung mit dem Klaus (Mertes). „Zur Sache, Kanzler“ – ein raffiniertes Stück politisches Theater. In der Tischrunde um Buddha Kohl reckte sich Mertes wie ein beflissener Schüler ihm entgegen, ein Welt-Journalist fiel durch beständiges zustimmendes Kopfnicken auf, und der Mann von der Süddeutschen Zeitung zog sich tief ins edle Gestühl der Villa mit Parkblick zurück. Nur Mertes' gelegentlich weit ins Bild hineinragender Hinterkopf trübte das erlesene Styling dieses Schulungs-Videos für die mittlere Parteiebene. Politische Bildung als Oberlehrerveranstaltung, bei der „gestandene“ Chefredakteure in Deckung gehen. Fein säuberlich wird der politische Diskurs verhindert.
Resultat: eine ambulante Heilbehandlung fürs öffentliche Klima – wobei die Frager mit sanfter Hand ihrem Gegenüber bei der Bewußtseinsmassage hilfreich unter die Arme greifen. Dieter Deul
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