piwik no script img

■ StandbildScandale grande

III nach Neun – extra, Montag, 3sat, 23.15 Uhr

Früher waren die Skandale einfach schöner. Radio Bremen ist so stolz auf die seinigen, daß der Sender sie zusammengeklebt hat und nach der Nordketten-Ausstrahlung nun noch einmal in der Vierergemeinschaft 3sat zum besten gab. Damals, als Mike Leckebusch noch den „Musikladen“ und „III nach Neun“ anrichtete, brannte gelegentlich die Luft, wenn heißblütige KombattantInnen aufeinanderstießen. Heutzutage gibt es so etwas nur noch selten; vielleicht, weil die Leute das Medium nun gar nicht mehr ernst nehmen. – Aus spontanem, ungestümem Talk sind perfektionierte Shows geworden mit Moderatoren, denen notfalls der kleine Mann im Ohr aus der Bredouille hilft. Anhand der „III nach Neun“-Skandalchronik ließ sich diese Entwicklung trefflich verfolgen. In den Siebzigern lungerte das Publikum gemütlich an rustikalen Holztischen; die Talk- Gäste saßen schon mal an der reichhaltig ausgestatteten Bar, in der unübersehbar der Cointreau prangte. Hier wurde nicht nur offensiv debattiert, sondern auch genüßlich gesoffen – und Alkoholismus dann zum Thema gemacht. Später traf man sich dann in der telegenen „Runde“. Von da war es nicht mehr weit zur Arena, zur von medienerprobten Zuschauern gesäumten Kampfbahn. – Tumultuarische Szenen sind, auch das kam beiläufig zutage, keine Erfindung der Privatsender. Mit Wonne reizten Redakteure und Moderatoren skandalträchtige Themen aus und gaben Gäste und vor allem Anrufer in billiger Manier dem Gelächter der johlenden Meute preis. Ob eine frühe Telefonsexunternehmung oder die Suche nach dem G-Punkt – breitgetreten wurde, was Aufgeregtheiten verhieß. Maren Kroymann, deren etwas gespreizte Moderation die einzelnen Talkshow-Blöcke verband, verwies zutreffend auf die Parallelen zu Erika Bergers späterer Sexual- Exploitation.

Wenn also öffentlich-rechtliche Hierarchen bigöttelnd Klage führen über die Verrohung der Sitten, empfiehlt sich ein erkundender Blick in die eigenen Archive. Nicht zuletzt in diesem Punkt bot die in Rede stehende Altlastenverwertung eine informative fersehhistorische Lektion.Harald Keller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen