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■ StandbildKissenschlacht

„The Real World II“, sonntags 14 Uhr, montags 22 Uhr, MTV

Einen wunderschönen guten Tag, liebe Zuschauer daheim vor den Bildschirmen. Interessiert sich jemand von Ihnen noch für das wirkliche Leben? Ja? Wenn sie per Fernbedienung mal wieder in der Realität nach dem rechten sehen wollen, ohne dabei auf Werbeblöcke und Stakkato-Schnittfolgen verzichten zu müssen, sollten Sie's mal mit „The Real World“ versuchen. Die halbstündige Doku-Serie, deren zweite Staffel jetzt bei MTV läuft, begleitet sechs college kids in Los Angeles durch ein Jahr ihres Lebens – amerikanische „Fußbroichs“ im Schnelldurchlauf.

Bis zu 80 Stunden pro Woche haben sich die sechs Teenager filmen lassen: auf dem Campus, beim Gotcha-Spielen, beim Autofahren, im Bett, beim Telefonieren und natürlich immer wieder (wir sind ja in Kalifornien) am Strand. Das sieht aus wie eine Reality-TV-Version von „Beverley Hills, 90210“ und könnte ein ähnliches Kultpotential bei deutschen Tennies haben, wenn MTV nicht dauernd die Sendezeit verschieben würde. Am letzten Sonntag durften wir unter anderem miterleben, wie Tammy sich die langen Haare abschneiden läßt und Johns Eltern in Kentucky besucht, Sam in einer pompösen Zeremonie seinen Bachelor of Arts an der UCLA bekommt und alle zusammen auf dem Balkon grillen. Dann reden sie darüber, wie sehr John sich in einem Jahr doch verändert hat.

Keiner meiner fernsehenden Freunde findet diese Serie gut, doch ich kann mich leider nicht sattsehen an diesem gelungenen Beispiel für TV Verité. Zwar wird zu Recht moniert, daß die sechs Kids durch die schnelle MTV- Montage und die ununterbrochene Musikuntermalung zu soundbites absondernden Videoclip-Versuchskaninchen degradiert werden, deren Leben eine einzige Kissenschlacht zu sein scheint. Die „Real World“ ist das in der Tat nicht, aber immerhin eine Annäherung an das wirkliche Leben, die im übrigen jeder Camcorder-Besitzer mit seinen eigenen fernsehenden und nicht fernsehenden Freunden produzieren könnte. Und das würde ich natürlich noch viel lieber sehen – vielleicht auf Viva?Tilman Baumgärtel

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