■ Standbild: Schaut auf diese Stadt
„Der Havelkaiser“, Montag/ Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD
Die Wende hat uns doch etwas gebracht. Einen Berlinbonus im Unterhaltungsfernsehen, zum Beispiel. Wer will heute noch wissen, wo das Glotterthal ist, wo einst das Traumschiff kreuzte oder die Guldenburgs ihr Bier brauten? Endlich schaut die Welt wirklich auf diese Stadt, wo die „Praxis Bülowbogen“ liegt, der „Nelkenkönig“ seine Geschäfte macht und auch der „Havelkaiser“ residiert. Und seit der Vereinigung berlinert es jetzt sogar herzergreifend idiomatisch. „Haut die Pommes in die Fritüre“, befiehlt Kaiser Pfitzmann seinen Ostvasallen, und schon kriecht der wohlbekannte „Damengrill“-Duft durch die Röhre. Ja, so sind wir Berliner: hektisch, aber herzlich. Nie ganz bei Sinnen, aber mit Schnauze.
Nur die hessische „Drombusch“-Tochter Marion Kracht wurde in der Eile der Wende lediglich behelfsmäßig einberlinert. Wenn sie ihre Angebetete auffordert, „mitte Finger wat rüber“ zu rutschen, damit die Fock nicht mehr tillt, dann kracht's doch allzu unangenehm im Mast. Wie man überhaupt recht gerne wissen würde, was sich Knut Boeser dabei dachte, die junge Dame in Blaumann und Schiebermütze zu stecken und sie in dieser kläglichen Verfassung auch noch mit Vannessa, der hypergeilen Rechtsanwältin, zu konfrontieren. Die will Jette lieber heute als morgen die Wäsche vom Leib reißen (was man als Ästhet nur zu gut verstehen kann) und zeigt zudem viel Verständnis für Jettes Kindheitsprobleme: Als Halbwaise sucht die Arme in jeder Frau ihre Mutter und segelt nun als trauriger Fall von Zwangshomosexualität ziellos durchs Leben. Ja, so sind wir Lesben: Traumatisiert, aber patent. Ruppig, aber klasse im Bett.
Das wird auch der junge Modedesigner wissen, der heute um Jettes Gunst buhlt. Bis 21.45 Uhr wird sie sich entscheiden müssen, ob sie den Weg vom Ich zum Du doch noch beschreiten will. Dann hat es sich nämlich vorerst ausberlinert. Der „Nelkenkönig“ liegt schon seit 19.25 Uhr mit ZDF-Herzinfakt im Krankenhaus, und der „Havelkaiser“ erfährt, daß er noch eine weitere – Gott sei Dank ganz normale – Tochter hat.
Mit viel Verständnis für die Provinz schauen wir Hauptstädter ab Dienstag dann auf das Dresdener „Elbflorenz“ und ab dem 11. Mai nach „Blankenese“, wo die Welt noch in Ordnung ist und die jungen Menschen sogar wissen, wo sie erotisch beheimatet sind. Klaudia Brunst
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