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■ StandbildRussischer Jeannie

ARD-Exklusiv: „Wodka bis zum Tod“, Fr., 21.45 Uhr, ARD

Der Petersburger Panscher hält einen Eßlöffel mit Brennspiritus vor die Kamera und entflammt das blind machende Gebräu. Sorgsam in staatlich versiegelte Wodkaflaschen abgefüllt, wird er den Sprit später an zahlreiche Kioske verscherbeln. Bedenken hat der Giftmischer keine. Die Leute wollen sich nach der Arbeit eben wegtrinken. Er verschaffe ihnen nur billigen Stoff.

Das Ergebnis des Konsums von verunreinigtem Alkohol präsentiert ARD-Korrespondent Hans-Josef Dreckmann anschließend im Leichenschauhaus. Die kleine Flaschensammlung des Pathologen dokumentiert, was unsere russischen Brüder an Rausch versprechender Flüssigkeit zu sich nehmen: Frostschutz, Parfüm, Bremsflüssigkeit und Farbverdünner. Immer mehr übel schäumender Weingeist gurgelt durch russische Kehlen; die Zahl der Alkoholtoten verdoppelt sich jährlich. Das Alkproblem, so ein Arzt, richte mehr Schaden an als ein Krieg. Warum, so fragt man sich hier, wo immer noch streng nach dem Reinheitsgebot gesoffen wird, schütten sich die Russen etwas in den Hals, dessen purer Anblick schon Brechreiz erzeugt?

Leider hat Hans-Josef Dreckmann ausgerechnet diese Frage kaum gestreift. Seine Reportage ist ganz im Sinn der medical correctness „Alkohol macht krank“ gedreht. Die Kulturgeschichte des Trinkens in Rußland wird nicht erwähnt, und von den zahllosen Trinkritualen ist auch keine Rede. Trinken, so scheint es in Dreckmanns Film, ist ein anonymes Übel. Nur gelegentlich gelingen dem Autor Bilder, in denen der intime Zusammenhang zwischen Kulturverlust, Trinkkultur und sozialer Verelendung zu erahnen ist.

Mehr über die Lieblingsdroge der Russen hätte der ARD-Korrespondent vielleicht herausgefunden, wenn er, statt nur die St. Petersburger Miliz bei Einsätzen gegen betrunkene Schläger zu begleiten, den ratsamen Selbstversuch gewagt hätte. Denn die Erfahrung lehrt nun mal, daß der Geist des Weines im Inneren der Flasche liegt. Manfred Riepe

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