Standbild: Dokumentierter Karton
■ "Grenzbilder"
„Grenzbilder“, Mittwoch, 3sat/MDR, 21 Uhr
Information ist ein Virus. Unerbittlich überwucherte sie die Stasi-Akten bis zum totalen Immun-Kollaps. Millionen von DDR-Grenzerfotos konservierten die Erreger realsozialistischen Ärgernisses. Inzwischen sind davon nur noch wenige tausend erhalten. Immer noch genug für eine Diagnose, die „alltäglich, dramatisch, kurios und ziemlich deutsch“ sein will.
George Peter Boultwood und Ulfert Engelkes haben ihre Fundstücke zu einer tragikomischen Dia-Show zusammengerafft; ein Polit-Potpourri von Largo-Tönen („Flüchtlinge“) bis zum koketten Monroe-Song (Busen und blanke Hintern des freien Westens). Ihr Stilprinzip ist das der schaurig-schönen Erinnerung, ihr Kronzeuge ein älterer Berliner. Er geriet in den Sechzigern mit seiner Frau für einige Tage in den Stasi-Knast Magdalenenstraße – ein blinder Passagier verbarg sich in ihrem Kofferraum. Heute ist er happy über sein Erlebnis. Seither habe er von der Stasi „ein ganz klares Bild. Das ist mir die Sache wert gewesen.“
Wo der Feind stand, das konnte man damals noch genau nachweisen. Die DDR-Preußen erwiesen sich darin als die besseren Deutschen. Millimetergenau zeichneten sie auf ein Wiesenbild die Linie der Grenze, die am 17. Mai 1976 von 14.45 bis 15.20 Uhr von 16 Schafen verletzt wurde. Die Illegalen wurden vom diensthabenden Stabschef der Grenzaufklärer schließlich wieder über die „sensible Trennlinie zwischen Sozialismus und Imperialismus“ (Mielke) zurückgescheucht. Sogar die Machart der Bravo-Fotoromane, so dokumentiert der Film, kopierte der Osten, um etwa den Fluchtversuch eines jungen Pärchens penibel fürs Aktenalbum nachzustellen.
In diesem Kaleidoskop flüchtiger Eindrücke bricht sich schließlich auch der Blick des Zuschauers. Das Medium verleibt sich wieder einmal jede Menge Leben ein und stößt ob der unverdauten Eindrücke nur kurz auf. Von den 300 Menschen, die auf der Grenzstrecke blieben, ist kein Bild zu sehen. Hefeartig quillt dafür die Tautologie. Der Westen sieht den Osten, wie der in den Westen sah, welcher in den Osten guckte. Alles klar?
Der TV-Informationsvirus leistete auch hier wieder einmal ganze Arbeit. Dokumentiert wird schon lange nicht mehr irgendeine Idee oder Realität, sondern bloß das, was gerade im Karton liegt. Dieter Deul
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