piwik no script img

■ StandbildSekt für 70 Mark

„Die Reportage“, Freitag, 21.15 Uhr, ZDF

Es hat schon etwas Irrsinniges, als Kreuzberger in einem Kreuzberger Lokal plötzlich die Freunde sitzenzulassen und hastig nach Hause zu rennen, um sich schnell eine Reportage über Kreuzberg anzusehen. Und dann über diese Reportage zu schreiben.

Noch lustiger wäre es gewesen, wenn ich bis dahin mit Kain Karawahn, einem Berliner Feuerkünstler, zusammengesessen hätte. Denn der erschien den Machern der Reportage so kreuzbergerisch, daß er ständig als running gag schlecht rasiert und ein wenig traurig aus dem Fernseher herüberwinkte. Kain Karawahn ward vertrieben sozusagen; hurtig steigende Mieten zwangen ihn, sein Kreuzberger Atelier zu verlassen, um in Mitte fortan weiterzuzündeln. Jetzt hat der Ärmste nur noch eine Wohnung in Kreuzberg.

In der politisch allseits korrekten Reportage ging es um die Veränderung der Lebensumstände, die Verdrängung derer, die den legendären Bezirk in den achtziger Jahren vor allem geprägt hatten. Früher war alles wunderbar – heute droht die Umstrukturierung; denn nach dem Mauerfall liegt der Kiez plötzlich im Zentrum. Arme müssen gehen, billige Kneipen und mittelständische Betriebe verschwinden, fiese Hausverwalter (Herr Kuhte) treiben ihr finsteres Geschäft.

Das ist alles richtig und paßt leider viel zu gut zusammen. Auf den Feuerkünstler folgen die Maikrawalle, der fies aussehende Hausverwalter (Herr Kuhte) steht gegen sympathisch wirkende Ex-Bestzer, nach Junkies gibt's zwei Bullen usw. usf. Das wird aneinandergereiht, so ordentlich und ohne jeden Bruch, daß nach dem Gucken kein Bild zurückbleibt. Am Ende findet ein aufrechter Kreuzberger „daß Geld abgeschafft gehört“. Das find' ich auch und wollte noch erwähnen, daß eine Flasche Sekt beim Kreuzberger Straßenfest ein paar Häuser weiter 70 Mark kostet. Detlef Kuhlbrodt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen