■ Standbild: Showtime in Berlin
„Brennpunkt“, Dienstag, 20.15 Uhr, ARD
Bill Clinton in der Hauptstadt. Der Mantel der Geschichte wehte heftig, als der Boy aus Arkansas und der Bauch aus Oggersheim durch die glutheiße Metropole wankten – vor ihnen zahllose Kamerateams, um ja keine Schweißperle zu verpassen. Immerhin 50.000 Berliner hatten sich von den vorsorglich geklebten Plakaten als Statisten ans Brandenburger Tor locken lassen, um den Enkel von JFK leibhaftig zu sehen. Andernfalls wären die Fernsehbilder nur halb so schön geworden.
Nachdem die Ehepaare Clinton und Kohl gemessenen Schrittes das Tor passiert hatten, folgte der genüßliche Schwenk über das „begeisterte“ Volk. Das ist Inszenierung, wie Politiker sie sich wünschen. Nur Renate Bütow hatte dafür in der „Tagesschau“ den passenden Kommentar bereit: „An diesem Bild kommt keiner vorbei“ – das Ganze nichts mehr als ein „Showteil“. „Brennpunkt“-Reporter Werner Sonne dagegen behielt den Kanzler fest im Blick: Denn der sprach den Menschen „aus dem Herzen“. Und schließlich, tönt Sonne, „wollen alle von Clinton nur eines wissen: Wird auch er – wie einstmals John F. Kennedy – für die Berliner eine Botschaft auf deutsch haben?“
Bei soviel staatstragendem Pathos fiel kaum auf, daß der „Brennpunkt“ einmal nicht in gewohnter Manier präsentiert wurde: Kein oberwichtiger Moderator führte durch die Sendung, kein mißglücktes Schalten nach Brüssel oder London, keine gequälten Entschuldigungen dafür, daß die „nachfolgenden Sendungen“ sich verzögern.
Statt dessen zeigten SFB und WDR in 15 Minuten ein halbes Dutzend Beiträge, die sich knapp mit einzelnen Aspekten des Präsidentenbesuches befaßten. Eine Crew von Nachwuchsjournalisten war in Gang gesetzt worden, um „Bill Clinton in Berlin“ zu zeigen. Am Ende standen dabei aber vor allem die bunten Facetten im Vordergrund. So entlarvte die flotte Berichterstattung über das Lady-Programm, über Sicherheitsvorkehrungen und die Berliner Claqueure unversehens den ganzen Präsidentenbesuch als das, was er war: als Showtime.
Nebenbei billigte das Bundesverfassungsgericht an diesem Tag den weltweiten Kampfeinsatz der Bundeswehr – doch davon war im „Brennpunkt“ fast nichts zu sehen. Wie heißt es doch im Boxsport so zutreffend: Ein Schlag aufs Auge ist mehr wert als drei aufs Ohr. Achim Baum
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen