■ Standbild: Halt still, Kamera!
„Geschichten vom Leben“, Montag, 0.30 Uhr, ZDF
Eine Eva auf der Blumenwiese, ein samtäugiger Adam am Baum, ein Kuß, ein Zittern, eine Knospe, die im Zeitraffer zur Tulpe gedeiht.
Bienchen auf Sonnenblumen, Marienkäfer auf Disteln. Ein Mann zählt Geld, um es dann zum Fenster rauszuwerfen. Später wird er Erspartes im Wald verteilen und die Manteltaschen mit Laub füllen. Jemand duelliert sich mit seinem Schatten und verliert. Ein anderer füllt Flaschen mit kleinen Botschaften und verkündet: „Ich werde dahin gehen, wo das Wasser aufhört zu fließen.“ Eine Nase blutet auf bemaltes Papier. „Ich bin doch nicht verrückt“, schreit einer und zerreißt sein Gemälde.
„Geschichten vom Leben“ von Boris Lehmann ist ein Dokumentaressay, das sich mit angespannter Aufmerksamkeit der großen Themen der Menschheitsgeschichte annimmt. Sündenfall und Erlösung, Kunst und Natur, Liebe und Tod, Zeit und Raum: kein Komplex, für den Lehmann nicht ein Bild parat hält. Und gehen sie ihm doch mal aus, nehmen sich seine Statistiken ausgiebig Zeit, um zwei kleinen Mädchen Kants „Kritik der reinen Vernunft“ zu erklären.
„Der Mensch muß vor allem wissen, was er betrachten muß“, heißt es vollmundig am Anfang. Entsprechend eitel kommen auch die Einstellungen daher. Jede Meereswelle, die zum Takt eines Todesgesangs auf dem Ufer ausrollt, wird gefeiert, als habe Lehmann sie gerade erschaffen. Die Kamera staunt und hält ganz still.
Jeder Moment, jede kleine Inszenierung mit unbekannten Seiltänzern, Künstlern und Philosophen wird mit seniler Empfindsamkeit registriert. Lehmann, der mit dem gesamten Fragenkatalog der Moderne im Handgepäck ausgezogen ist, um die Geheimnisse der menschlichen Existenz zu bebildern, gehen bald die Rätsel aus. Und wenn am Ende ein Greis mit Rauschebart ein Gartentor abschließt, Adam und Eva auf einem schwarzen Motorrad aus dem Bild fahren und das Objektiv schließlich in ferne Galaxien zoomt, ist das kein Scherz, sondern ein Glaubensbekenntnis.
Das Tragische an diesem „Kleinen Fernsehspiel“ ist nicht die Inbrunst, mit der es an die eigene Bedeutsamkeit glaubt, sondern seine Phantasielosigkeit. Dem Ganzen haftet der Charme jener religiösen Fotobände an, die einem ungeliebte Patentanten zum Geburtstag schenken. Birgit Glombitza
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