■ Standbild: Bewegte Söhne
„Kind im Speed-Test“, Dienstag, 23.40 Uhr, arte
Einmal mehr war es Mitternacht, da haben die arte-Leute mit ihrem Themenabend in Sachen „Slow-Motion“ so richtig ernst gemacht. Ein Dokumentarfilm von Benno Trautmann über ganz schnelle und ganz langsame Menschen. Und man wollte (einmal mehr) das schöne, alte Lied anstimmen, warum sie das ganz andere Fernsehen immer nur so spät zeigen.
Trautmann baute seine Kamera vor einem Monitor auf, der ein paar Jungpiloten zeigte, die in einer Zentrifuge sitzen und sich mit vierfacher Erdbeschleunigung auf ihr Sesselchen drücken lassen, bis sich ihr Gesicht ziemlich verzieht und die Bartstoppeln – schwupps! – wieder in der Haut verschwinden. Sie müssen das durchhalten: Im Tornado der schnellen Jetzt-Zeit zählen andere Gesetze, bis zu 4,8 g, was immer das auch ist.
Dann zeigte uns Trautmann einen ziemlich langsamen Jungen beim Konzentrationstest. Einen Burschen, der Stunden braucht, um sich anzuziehen, zu essen und zu antworten. Der aber hurtig die psychologischen Testreihen durchläuft und auch als Karate-Schüler keine Anstalten macht, langsam zu sein. Nur seine Mutter schimpft unablässig über seine Borstigkeit wider ihrem Ordnungsfimmel – und outet sich damit als das Problem des Jungen.
So hatte man also zwei Filme in einem und konnte nun darüber meditieren, was für ein tiefer Fluß die beiden Porträts zusammenhalten könnte. Wahrscheinlich wollte Trautmann zeigen, daß die Lust auf andere Zeiten familienpsychologische Ursachen hat. Der Pilot will nicht mehr zu Hause von seinem Vater ausgebremst werden – und der Junge will sich nicht mehr von seiner Mutter beschleunigen lassen. So einfach kann alles sein.
Aber wie gesagt: Es war einmal mehr nach Mitternacht, man hatte selbst mit einer beschleunigten Augenbewegung zu kämpfen (REM) und mischte sich zwischen zwei Augenblicken seinen eigenen Film zurecht. Dabei entwickelte sich das Gefühl, daß sich freundlicherweise nichts tut im Trautmann-Film. Der beobachtet die Welt wie ein Satellit in friedlicher Drehung um ein und dasselbe herum: strenger Vater, strenge Mutter, viel bewegte Söhne: Das kann übel enden. Entweder verfallen die in tödliche Starre, oder sie sausen über die Erde hinweg wie eine mörderische Rakete. Hallo Mama, hallo Papa? Marcus Hertneck
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