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■ StandbildKeine Leiche für Blüm

„Polizeiruf 110 – Über den Tod hinaus“, So., 20.15 Uhr, ARD

Da hat er den Wochenendschnupperkurs über Sexualdelikte in der bäuerlichen Großfamilie absolviert, den Workshop zur Rauschgiftkriminalität besucht, und in Schwerin ist so gut wie nichts los. Abgesehen von den Versicherungsbetrügereien des rassistischen Würstchenbudenbesitzers. Da kann der Kollege sogar ohne weiteres seinen Resturlaub im Altersheim verbringen und Tomaten pflanzen.

Und während der bedächtig- müde Kommissar Groth (Kurt Böwe) im Boden scharrt, heftet sich sein junger Kollege Hinrichs (Uwe Steimle) vor lauter Verzweiflung an die Fersen krimineller Hundezüchter, die deutsche Schäferhunde aus fremden Ländern einschleusen.

Da ist der alte Groth, wenn auch ungewollt, dem Verbrechen näher. Denn das Seniorenidyll „Haus Humanitas“ entpuppt sich als zukunftsweisendes Rentenmodell, bei dem die Verstorbenen nicht auf dem Friedhof, sondern in der Tiefkühltruhe landen, damit die staatliche Altersversorgung nicht versiegt. Mit schönen Grüßen an Norbert Blüm.

Hatte sich Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Bernd Seite noch über mangelnde Fremdenverkehrswerbung in der letzten „Polizeiruf“- Folge aufgeregt, so dürften sich diesmal die Bonner melden. Denn in der Krimiserie vom NDR pflegen nicht nur die Täter eine gesunde Abneigung gegen die Gesetze, sondern auch der Kommissar: „Wenn Sie in mein Alter kommen, werden Sie verstehen, daß man den Staat bescheißt“, läßt der knarzige Ex- Vopo seinen strebsamen Kollegen auf der Heimfahrt wissen.

Hoffentlich kommt der nie in sein Alter, denn dann wäre es ja mit dem burlesken Geplänkel zwischen dem Altgedienten und dem Heißsporn von der Dresdner Polizeihochschule vorbei! Dabei ist die väterlich-arrogante Distanziertheit des einen und das latent hysterische Buhlen um ein bißchen Respekt des anderen so sorgfältig in Szene gesetzt, daß es endlich einmal nicht stört, wenn die klassischen Krimi-Koordinaten von einer Art Kammerspiel ersetzt werden.

Ein wunderbar bodenständiges Plädoyer für ein bißchen Anarchie im Osten und der beste Beweis dafür, daß ein Sonntagabend-Krimi keinen Mord braucht, sondern vor allem ein gutes Drehbuch. Oliver Gehrs

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