■ Standbild: Quote statt Image
„Akte 97“, Mo., 22.05, Sat.1
Der Mann, der früher Talkkrawalle per Handkantenschlag einläuten und beenden konnte, ist seriös geworden. Er ist Nachrichtensprecher bei Sat.1, er produziert und moderiert das Magazin „Akte 97 – Reporter decken auf“. Und er ist „Reserve-Stabsoffizier“ der Bundeswehr, wie er uns am Montag abend ein bißchen stolz wissen ließ.
Als solcher fühlte sich Ulrich Meyer wie „ein Nestbeschmutzer“, als er im Namen des investigativen Journalismus Teile des Bundeswehrvideos vorführte, das seit Tagen bundesweit für Kopfschmerzen und Schlagzeilen sorgt. Dabei hatte sich Meyer die Entscheidung wahrlich nicht leichtgemacht. Wochenlang lag das Band mit den Gewaltphantasien der Rekruten auf dem Tisch. Denn erst mußte es auf seine Echtheit geprüft und dann sorgfältig von der Springer-Presse verwertet werden.
Meyer hat recht, wenn er sagt, das Material gehöre gesendet, um die Bevölkerung aufzurütteln und über die wahren Verhältnisse in den Kasernen zu informieren. Aber gerade weil es für den Erhalt der Demokratie wichtiges Bildmaterial ist, gehört das Band nicht nach allen Regeln des Sensationsjournalismus ausgeweidet. Würde man es bei Sat.1 tatsächlich ernst meinen mit der postulierten Ethik, hätte Chefredakteur Jörg Howe Kopien des Bandes frühzeitig sowohl den Nachrichtenredaktionen anderer Sender als auch dem Verteidigungsministerium zur Verfügung stellen können. Das hätte zwar weniger Quote gebracht, dafür aber um so mehr Image.
Doch daran scheint Sat.1 immer weniger gelegen: Ist der Ruf erst ruiniert, sendet sich's ganz ungeniert. Und deswegen rührte man die Bilder zu einem Zehnminutenbeitrag zusammen, setzte den Kronzeugen ins Halbdunkel und ließ ihn mit schaurig verzerrtem sächsischen Dialekt wenig Erhellendes berichten. Als Alibi für den guten Willen durfte noch die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Herta Däubler-Gmelin, herhalten, die sich angesichts der kruden Bilder brav entrüstete.
Nach diesem Fernsehabend gehören nicht nur die Ausbildungsformen in deutschen Kasernen öffentlich dikutiert, sondern auch die in deutschen Redaktionen: Man mag zur Bundeswehr stehen, wie man will, aber es ist unerträglich, daß es vom Gutdünken eines Privatsenders abhängt, in welchem Maße der innere Aufklärungsprozeß bei der Bundeswehr in Gang kommt. Oliver Gehrs
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