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■ StandbildBerliner Perspektiven

„Berlin direkt“/„Jetzt kommt Berlin!“, Sonntag, 19.10 Uhr/19.30 Uhr, ZDF

Ob 50 Jahre „Made in Germany“, die Expo 2000 oder der Einzug in den Plenarbereich Reichstag anstehen, das ZDF hat sich vorgenommen, künftig bei jedem Schnickschnack dabeizusein. Thomas Gottschalk, in allen anderen Fällen Conférencier, war für diesmal verhindert. Daher übernahm Klaus Bresser die Diskussion zum Thema „Jetzt kommt Berlin!“, ein Meinungsaustausch prominenter Sonntagsredner vor schwer illustrem Publikum, darunter u. a. Walter Momper, Wolfgang Menge und Gustav Trampe.

Was mag sie getrieben haben, dem unverbindlichen Geplauder beizuwohnen? Der streitbare Menge schreibt gerade an einem Politthriller, hatte also wohl Recherche im Sinn. Mitschreiben aber lohnte nicht, denn wenn er Antje Vollmers, Angela Merkels oder Friedrich Schorlemmers Schwatz in sein Drehbuch einfügt, wird er nichts als ungläubiges Kopfschütteln ernten.

Klaus Bresser, dessen bevorstehender Ruhestand seinem gedanklichen Befinden hoffentlich aufhelfen wird, kann sich anfreunden mit dem Begriff „Berliner Republik“. Hier draußen in den emsländischen Dörfern weckt das Wortpaar hingegen gemischte Gefühle. Einige von uns waren nämlich schon mal in Berlin und wußten nichts Gutes zu berichten. Von atemlähmenden Luftverhältnissen war da die Rede, von zerklüfteter Architektur, patzigen Eingeborenen. Und Küchenschwaben, wo immer man die Ohren aufstellt.

Die Vorstellung, dem Berliner Machtbereich zugeschlagen zu werden, sorgt im Westen für umwölkte Mienen. Auch in Anbetracht der Tatsache, daß schon im näher gelegenen Hannover die Bedürfnisse der westlichen Pioniersiedlungen schmählich mißachtet werden. Dabei interessiert hier, in den Auen zwischen Weser und Ems, das Amsterdamer Kulturleben weit mehr als der neueste Berliner Touristennepp, der glücklicherweise mehr als doppelt so weit entfernt vonstatten geht.

Berlin sei „brausend“ (Ulrich Mühe) und „fiebrig“ (Antje Vollmer), erfuhr man am Sonntag abend. Hoffentlich bleibt bei all dem Brausen und Fiebern hin und wieder noch Zeit zum Nachdenken. Die in der Hauptstadt versammelte Kreativität aber könnte sich nützlich machen und dem dort verstärkt vertretenen ZDF doch mal zu einem geschmackvolleren Erscheinungsbild verhelfen. Harald Keller

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