■ Standbild: Sehnsucht nach lustiger Politik
„Das große Palaver, Rede-Reste aus dem Bundestag“, Mi., 22.30 Uhr, WDR
Deutscher zu sein, gilt vielen hierzulande als Beruf: 1. ist es eine anstrengende Tätigkeit und 2. hat diese die Eigenschaft, einen gerne bis in die Abendstunden zu beschäftigen („Denk' ich an Deutschland in der Nacht“). Dies ist auch der Grund, warum deutsche Supermärkte stets beträchtliche Mengen an Leberwurst im Golddarm vorrätig halten. Ohne Leberwurststullen läßt sich ein Tag als Deutscher nämlich gar nicht durchstehen.
Seit Max Weber ist auch die Politik als Beruf anerkannt. Wie die Deutschen sehen die Politiker in ihrem Dasein eine Bürde, für die sie entschädigt werden möchten. Politiker, die zugleich Deutsche sind, leiden entsprechend unter einer Doppelbelastung. Sie verleihen diesem Empfinden gerne Ausdruck durch den Satz: „Mein Tag hat auch nur 24 Stunden!“
Weil Deutscher-Sein unbezahlt ist, Politikmachen aber entlohnt wird, begegnen die Deutschen ihren Politikern mit Mißgunst. Das deutsche Volk sieht in deren vermeintlicher Privilegierung einen Akt der vorsätzlichen Kränkung – was es fordernd und maßlos macht. Zu den geläufigsten Auswüchsen zählt die Vorstellung, Politiker müßten unterhaltsam sein. Im Wunsch, die Politik möge lustig sein, artikuliert sich der Verdacht des Publikums, sie sei in Wahrheit unrettbar dröge.
Die Macher des 45-Minüters „Das große Palaver“ leisten dieser Einstellung Vorschub. 300 Filmschnipsel sollten die „amüsante Seite“ von 50 Jahren Bundestagsdebatten dokumentieren. Weil sie auf die Inhalte von Debatten und die Dramaturgie von Redegefechten völlig verzichten, kommen sie aber nicht über das Niveau von „Pleiten, Pech und Pannen“ hinaus.
„Wir pfeifen nicht nach ihrer Tanze!“ sagt ein Abgeordneter, ein anderer vertauscht seine Redemanuskriptseiten. Um derlei als lustig ausgeben zu können, müssen die „Palaver“-Autoren Politik als erhaben darstellen. Nur dann ist die nötige dramatische Fallhöhe gegeben. Den Zwischenruf „Halt die Klappe!“ kann bloß als komisch ausgeben, wer die Abgeordneten zu Halbgöttern der Demokratie stilisiert – ein Politikerbild wie aus den 50er Jahren. Patrik Schwarz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen