Standbild: Koloniale Liebe
„24 Stunden spezial – Brautschau in Fernost“, Mo., 23.35 Uhr, Sat.1
Gewisse Menschen neigen dazu, schlichtweg alles mit der Videokamera festzuhalten, von der Fütterung der Enten im Park bis zur Nachgeburt im Kreisssaal. Nur wenn die Kassette eingelegt ist, flimmert vom heimischen Bildschirm so etwas wie Relevanz und Tatsächlichkeit. Ludwig H., bodenständiger Bilderbuchwestfale mit Bungalow und Job in einer Möbelfabrik, ist ein solcher Mensch.
Seine erste Ehe mit deutscher Frau war gescheitert, nun sollte es eine Asiatin sein, mit „anderer Mentalität“, eine, „die nicht wieder laufen geht“. Am besten eine Filipina, denn dort sind die Leute ähnlich katholisch wie in Westfalen. Als Ludwig also vor sechs Jahren nach Manila flog, um sich aus der schmalen Kartei eines schmierigen Ehevermittlers seine Frau auszusuchen, da musste es schon ein Team von Sat.1 sein, die bizarre Brautschau zu dokumentieren: schwitzende Deutsche in Hawaiihemden, die auf dem Markt oder im Kaufhaus „einfach den Blick schweifen“ lassen, die Begegnung mit der willigen Shirley, die vor Pein schier zu zerfließen scheint, endlich Ludwigs radebrechender Rat: „Sleep a night over it“ – was der Auserwählten zwar ein wenig zu schnell geht, aber gehen tut’s trotzdem.
Sechs Jahre später: Ludwig hat, was er haben wollte: Wohlstandsbäuchlein, Heim, Hausfrau, zwei mäßig schlitzäugige Kinder und ein reines Gewissen: „Ich bin im Reinen mit mir. Ich hab alles richtig gemacht.“ So bräsig klingt eben, wer sich mit imperialem Gestus eine Kolonialware ins Bett holt, um provinzieller Bürgerlichkeit Rechnung zu tragen.
„Was brauche ich mehr?“, fragt eine adrett germanisierte Shirley in ihrer Einbauküche. Ludwig kennt die Antwort. Die Shirley, so sagt er, den Arm um die Arme gelegt, die „läuft mir nicht weg“. Ihr Blick flackert derweil über den Fußboden, sie verzieht keine Miene. In Asien ist das Ausdruck höchster Zustimmung – das weiß, wer die „Mentalität“ der Menschen dort kennt.
Arno Frank
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen