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Stalinorgeln

■ „Ich vergesse. Ich vergaß. Ich habe vergast“: Deftiges Kabarett im Schmidt

Tränen lügen nicht. Das vorweg. Da spricht man immer von hartgesottenen Journalisten, die schon alles gesehen und vieles mitangehört haben. Mitnichten. Am Dienstag abend, im Schmidt-Theater, bescherten das 3Gestirn Köln Eins, die Herren Kämmer, Nitschke und Schmickler dem tazler tränenfeuchte Notizen und meiner Sitznachbarin ein bierfeuchtes Knie. Der Wiedergeburt des zukunftstauglichen Politkabaretts beizuwohnen: ein wonniges Vergnügen.

Gemeinhin pflegt der Kritiker solche Berichte mit allerlei Beispielen zu würzen, um die Argumentation für Verriß oder wohlwollendes Geschwafel zu stützen. Doch – wie schon kundgetan – die Schrift ward verschmiert, das Mitschreiben durch schummriges Licht, Glucksen und Prusten erschwert. So gibt es nur Kleinigkeiten aus dem Programm Erstaunlich gut gelaunt! zu rezitieren. Der Vorschlag vom Nebentisch, die Kölner Kabarettisten, nachher, beim Bier, um Wiederholung zu bitten – verworfen. Zu peinlich. Niemals! Doch wohlan, ein, zwei leserliche Seiten gab es denn doch.

„Jawoll, Herr Hundestaffelführer, gerade 15 Bimbos die Eier langgezogen“, notierten wir den Ausspruch eines deutschen Polizisten. Hoch und deftig ging's her. „Ich vergesse. Ich vergaß. Ich habe vergast“, hielten wir das Kolportat des „Trio infernale“ zur Stunde Null der deutschen Volksgemeinschaft fest. Und unfair war–s: Die Herren waren Profis und zu dritt. Chancen, den einsam, zweisam, dreisam vorgetragenen, wassserfallartig über die Zuschauer hineinstürzenden Wortkaskaden, den grammatischen Salti mortali trockenen Fußes zu entkommen, seltenst möglich. Sprachen den Neonazi Randolf Einzelheinz von Brandanschlägen frei, geisterten von Parteineugründung zu Parteineugründung, servierten arbeitslose Loser ab. Stalinorgel-like schossen die Mitbegründer der Kölner alternativen Stunksitzung ihr kleines intellektuelles Feuerwerk ab.

Aber zum Ende ein wenig Kritik: In Akt Numero zwo verloren sie an Boden, und ein Abdriften ins unpolitisch kabarettistische Allerlei ist anzuzeigen. Der Beweis: Beim imaginären „Superzentrum“ mit „Hosen in Kronleuchtern und Herren, die in Nudelsalate onanierten“, saßen wir wieder gerade im Sessel und setzten das Biertrinken fort.

Markus Götte

noch bis 14., 20 Uhr; Schmidt

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