piwik no script img

„Stalinismus — eine jüdische Seuche“

Aus Rot wird Braun: Wie die ehemals kommunistische Nomenklatura versucht, mit nationalistischen Parolen wieder Fuß zu fassen  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Sie sind kompromißlos antikommunistisch. Sie finden, daß der Stalinismus eine Seuche war, die die Juden nach Polen gebracht haben, um das polnische Volk zu knechten. Deshalb kämpfen sie heute dafür, daß Polen von wirklichen Polen regiert wird, und nicht von Juden, die ihre Namen polonisiert haben. Ihr großes Vorbild ist Jedrzej Giertych, krankhafter Antisemit und Nationalist der Vorkriegszeit, der in London residiert und gegen den vorsichtigen katholisch-jüdischen Dialog in Polen als „Verrat am eigenen Volk“ Stimmung macht.

„Wirkliche Polen“

Sein Sohn ist Chef der „Nationalen Partei“ in Warschau. Einst war er Berater von General Jaruzelski, heute ist er Berater des katholischen Primas Glemp. Mit in der Parteiführung sitzt Stefan Jarzebski, stramm national und antikommunistisch, was ihn nicht hinderte, unter Jaruzelski sogar Minister für Umweltschutz zu werden.

Auch in Polen wird aus Rot gern Braun, ja, es gab Zeiten, da konnte man sogar beides gleichzeitig sein; 1968 etwa, als sich innerhalb der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) ein nationalistischer Flügel bildete, der die antisemitische Kampagne der ausgehenden sechziger Jahre inszenierte. Organisiert wurde sie von General Mieczyslaw Moczar, ZK-Mitglied und Innenminister, der eine Bewegung ins Leben rief, die später dann bemüht war, die aufkommende Solidarność vom nationalistischen Ufer aus zu bekämpfen.

Polens Kommunisten versuchten sich gern darin, in Zeiten der Bedrohung die antisemitische Karte auszuspielen. 1981 entstand so die „Patriotische Bewegung Grunwald“, benannt nach jenem Ort, an dem im 15.Jahrhundert polnische Heere die Kreuzritter geschlagen haben. Die „Grunwald“-Bewegung existiert bis heute. Als der seltsame Kanadier Stanislaw Tyminski 1990 Polens damaligen Premier Mazowiecki bei den Präsidentschaftswahlen aus dem Feld schlug, lieh „Grunwald“ ihm seine Büroräume in der Warschauer Innenstadt.

Ukrainische Banditen

Jozef Kossecki, der einst im Zentralkomitee der PVAP seine Genossen über „zionistische Verschwörungen gegen Polen“ und ähnliche mehr oder weniger antisemitische Theorien aufgeklärt hatte, wurde Direktor in Tyminskis „Partei X“. Er paßte in die Landschaft, auch Tyminski hat eine Vorliebe für antisemitische Anspielungen — kein Wunder, daß Giertychs „Nationale Partei“ ihn 1990 im Wahlkampf demonstrativ unterstützte. Mit dabei waren zahlreiche abgehalfterte Geheimpolizei- Offiziere, die Tyminskis lokalen Wahlkampf organisierten. Nationale Parolen, Polemiken gegen ausländisches Kapital, den angeblich zu großen Einfluß der Juden — das schien auch Vertretern der alten, kommunistischen Nomenklatura ein geeignetes Mittel, wieder an die Macht zu kommen.

Von jeher gab es bei Polens Kommunisten eine Tendenz, die dazu neigte, Minderheiten gegen die Mehrheit auszuspielen. Besonders gut funktionierte das im Falle der Deutschen und Ukrainer, denengegenüber viele Polen ohnehin historisch begründete Vorurteile hegen. Anonyme Flugblätter gegen Solidarność machten in den achtziger Jahren so auch gern aus unbequemen Oppositionellen wahlweise „Volksdeutsche“ oder „ukrainische Banditen“.

Polens neue Linke, die aus der PVAP hervorgegangene „Sozialdemokratie der Republik Polen“, ist davon relativ frei, die Betonköpfe von einst sind heute parteilos. Daß sich die minderheitenfeindliche Tendenz dennoch gehalten hat, belegt die Wochenzeitung 'Mie‘ (zu deutsch: Nein) des ehemaligen kommunistischen Regierungssprechers Jerzy Urban.

Appell an Instinkte

Urban, der seine jüdische Herkunft gerne als Beweis anführte, daß Polens Kommunisten keine Antisemiten sein können, erklärte seinen Eintritt in die PVAP nur wenige Wochen bevor diese sich 1990 auflöste. Danach gründete er eine populäre Boulevard-Wochenzeitung, deren Spezialität darin besteht, zu provozieren und an niedrige Instinkte zu appellieren — was Urban allerdings nicht hindert, sich als „Linker“ auszugeben. Einer dieser Instinkte ist der antiukrainische. Auch wenn keine Partei dahintersteckt — zu unterschätzen ist das nicht. 'Mie‘ hat inzwischen eine wöchentliche Auflage von über 600.000 Exemplaren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen