■ Stadtmitte: Berlin muß seine Hausaufgaben machen
Berlin muß seine Hausaufgaben machen
Als viele Berliner nach dem Bundestagsbeschluß vom 20. Juli 1991 jubelten, war jedem Insider klar, wie steinig und lang der Weg bis zur Übernahme der wirklichen Hauptstadtfunktionen sein würde. Diese Vermutung hat nicht getrogen, schon deshalb nicht, weil der Parlamentsbeschluß einige harte Nüsse zu knacken aufgibt.
Jubel auf der Berliner, zornige Trauer auf der Bonner Seite und die übliche Zurückhaltung in der Politik, wenn Beschlüsse verantwortliche Entscheidungen erfordern — all das führte zunächst zu großem Schweigen und Nichtstun, einer Phase also, die in der Politik gern »kreatives Nachdenken« genannt wird. Besonders erstaunte, daß aus Berlin wenig zu der nun schnellstens erforderlichen Zukunftsplanung beigesteuert wurde. Dort schien man sich auf den Lorbeeren der Juni-Entscheidung auszuruhen, was bei manchem Bonner neue Hoffnungen keimen ließ, der Bundestagsbeschluß sei doch noch einmal zu kippen.
Inzwischen beginnt sich der Nebel zu lichten. Berlin hat hoffentlich begriffen, daß Warten auf Bonner Regierungsentscheidungen allein keinen Durchbruch bewirkt. Berlin muß seine Hausaufgaben schneller, durchdachter, erledigen und klare Entscheidungen vorgeben, unbeeinflußt von etwa bezirklichen Krähwinkeleien. Wozu, fragt man sich hier, dient eigentlich eine große Koalition, wenn sie nicht an einem solchen für die Stadt parteipolitisch unumstrittenen Punkt schnell und entschlossen handelt? Macht also eine Stadtplanung der Perspektiven und des Mutes und keine der Kleingläubigkeit und der Bürokratie! Vermittelt Berlin die Chance, Hauptstadt eines neuen Typs, zum Beispiel schneller Fußwege im Regierungsviertel mit optimaler Nahverkehrsanbindung statt des andere Hauptstädte immer mehr erstickenden Stop-and-Go-Verkehrs zu werden. Durchgrünt das regierende Berlin, zumal der Hauptstadtbeschluß nicht die gesamte Bürokratie zu Euch verlagert, und nehmt damit der Spreestadt den militanten Ruch der erzwungenen braunroten Vergangenheit! Und, liebe verantwortliche Berliner, handelt, wartet nicht mehr mit Euren Entscheidungen. Es gibt einige, die darauf warten, daß Ihr zu lange wartet.
Arnulf Kriedner, von 1981 bis 1989 Bezirksbürgermeister von Neukölln, ist heute Bundestagsabgeordneter für Thüringen und Vorsitzender des Bundestags-Unterausschusses Treuhandanstalt. In der taz-Rubrik Stadtmitte schreiben Persönlichkeiten zu den Problemen der zusammenwachsenden Stadt.
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