■ Stadtmitte: Das Denkmal
Das Denkmal
Auf dem Gelände von Hitlers ehemaliger Reichskanzlei soll ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas errichtet werden. Der Zentralrat der Juden verlangt ausdrücklich, es müsse allein den Juden gewidmet sein, nicht auch den ermordeten Sinti, Zeugen Jehovas, Schwachsinnigen, Kommunisten oder Schwulen.
Niemand wird abstreiten, daß ein Denkmal (wenn Denkmäler überhaupt einen Sinn machen; wer hätte außerdem die Kraft, ein solches Mal zu gestalten? Der auf derartige Themen spezialisierte Hrdlicka? Ein schicker Konkreter? Jemand aus den USA, weil dort die bessere Kunst gemacht wird? Eine mutige Installationskünstlerin, des Proporzes wegen? Und wer entscheidet?) für die Ermordeten des Dritten Reiches notwendig ist.
Aber warum dort, wo es vorgesehen ist? Das Denkmal für die ermordeten Juden über der Totenkammer ihres Mörders! Welche Symbolik! Und welch ein Leckerbissen für Touristen! Die Souvenirstände sind doch jetzt schon kaum zu zählen.
Die Initiatoren weisen allerdings auch auf den Todesstreifen als Standort des Denkmals hin. Was hat jedoch der Todesstreifen entlang der abmontierten Mauer mit dem Mord an den Juden zu tun, außer der Tatsache, daß Machthaber bestimmte Menschen als schädlich ansehen? Die jeweilige Macht definiert, was schädlich und zu töten ist: Juden sowieso, Republikflüchtlinge; Zigeuner, weil Diebe; Slumbewohner in Panama, allesamt Drogenhändler; Studenten, die den Himmlischen Frieden stören; Iraker, weil von Saddam Hussein beherrscht; Palästinenser, weil aufsässig; Muslimanen, weil keine Serben; Schwarze, weil schwarz; eine Frage der Definition, nicht der Zahl.
Wenn es nämlich um die Anzahl der von den Nazis getöteten Menschen eines Volkes ginge, müßte das Denkmal den Bewohnern der Sowjetunion gelten. Wenn es sich gegen die bürokratisch organisierte, massenhafte Vernichtung von wehrlosen Menschen richtete, müßte es die Toten in den Lagern des Gulag, der Bombardierung Dresdens und Hiroshimas einschließen. Wenn es uns mahnen soll, daß Massenmord Massenmord ist, müßte es auch auf die Opfer Pol Pots verweisen. Denn die Geschichte der Unmenschlichkeit im Namen irgendeiner Ideologie ist mit den Morden an den Juden nicht abgeschlossen; an Chomeini und an Saddam Hussein haben die freiheitlich-demokratischen Grundordnungen bedenkenlos die Waffen geliefert. Womit wird Sarajevo beschossen?
Dabei liegt sei Jahren ein umfassender, sogar preisgekrönter Entwurf für eine Gedenkstätte vor. Er wurde seinerzeit von dem alerten Herrn Diepgen kassiert, weil er an einem geschichtlich sinnvollen Ort wirklich der Würde der Opfer gerecht geworden wäre: das Gelände des Prinz-Albrecht-Palais, wo die Gestapo hauste, in einen strengen Park aus Kastanien verwandelt, dessen Boden Bronzeplatten mit Abdrucken der Mordakten aus Auschwitz bedecken. Diesen Boden beträte niemand leichtfertig, dieser Park würde keine Unterscheidung in gedenkenswerte und weniger gedenkenswerte Opfer kennen. Warum legt sich die »Perspektive Berlin« mit ihren fabelhaften Verbindungen und ihrer Rechtschaffenheit nicht ins Zeug, damit dieser einmalige Entwurf aus den Schubladen befreit und endlich ausgeführt wird?
Dieter Masuhr ist Maler und lebt in Falkensee. In der Rubrik Stadtmitte schreiben Persönlichkeiten zu Problemen der Stadt.
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