Stadtmitte: Publikum dritter Klasse
■ In der Deutschen Oper wird jeder Platz mit 350 Mark subventioniert, doch zwei Mark pro Karte für das Kinder- und Jugendtheater sind dem Senat zuviel
Für die Staatlichen Schauspielbühnen sollen sich, so spricht es sich herum, zum kurzen Ende herum noch rund drei Prozent der Berliner Bevölkerung interessiert haben. Mit der gesammelten Presse zu ihrer Schließung sind aber Container zu füllen. Bei steigenden Subventionen und sinkenden Zuschauerzahlen im Theater für Erwachsene stellt sich die Frage: Wo ist das Publikum? Schon vor der Vereinigung gab es, aber weit mehr noch danach gibt es eine Theatersparte, die nachweislich beharrlich steigende Zuschauerzahlen aufweist, wo man es am wenigsten erwartet: bei Kindern und Jugendlichen, die einer verbreiteten Meinung zufolge nur noch vor Glotze und Nintendo hocken. Und hier stellt sich die Frage: Wo bleiben die Subventionen?
Berlin hat die reichste und vielfältigste Kinder- und Jugendtheaterlandschaft in Deutschland, und die stößt auf wachsendes Interesse, aber nicht in der Berliner Dorfpolitik: Dieses Publikum hat ein Gewaltproblem zu haben, aber bitte keines ihrer Kultur. Niemand würde auf die absurde Idee kommen, den Besuchern beispielsweise der Opern einen Berechtigungsschein abzuverlangen, um auf einem subventionierten Platz sitzen zu dürfen, was man aber bei Kindern und Jugendlichen für normal hält. Wie man in Debatten über die Besucherförderung für dieses Publikum immer wieder auf solche Kulturreichtümer wie „Kontingentierung“, „Zuteilung“ und „versuchsweiser Flächendeckung“ trifft, vornehmlich in der Politik. Wie man in der Debatte darüber auch ständig über 2 oder 3 Mark streitet statt über 170 bis 350. Und um diese Kleckerbeträge geht es.
Mit Gutscheinen (auf Antragsformular) oder Zuschüssen des „Theaters der Schulen“ (über Formular) finanziert der Senat den Besuch der „Zukunft Berlins“ ein wenig mit und versteht das als Förderungsaufgabe, das heißt, darunter verbirgt sich wohl die Einsicht, daß Kultur oder Theater eine Form von Gewaltprävention ist, eine wichtige Übung in sozialem Verhalten. Was schiene also sinnvoller, als auf einen Zug (steigende Besucherzahlen) aufzuspringen und für eine solide und moderne Finanzierung der Besucherförderung für Kinder und Jugendliche zu sorgen, deren Zusatzbedarf vielleicht ein Dreißigstel oder ein Vierzigstel der Schiller-Subvention wäre. Die Kinder sind von der Straße, und das wiedereröffnete Schiller Theater hätte in zehn Jahren ein sachkundiges Publikum, das die letzten zehn Pannenjahre verhindert hätte.
Die Frage ist also klar, wem sie aber stellen? Seit über zehn Jahren streiten sich drei Verwaltungen (Kultur, Jugend, Schule) darüber, wer für die Kultur der Jugend zuständig ist oder was davon versteht. Derweil verwaltet jede für sich zur Freude der Verwaltungskosten, und derweil stellt sich jedes Jahr rund zweimal die Frage, ob die Förderung nicht „erheblich reduziert“ oder „kontingentiert“ oder „zugeteilt“werden muß. Und seit 1990 fragen sich alle drei Verwaltungen jedes Jahr, warum aus dem Ostteil der Stadt auch Kinder und Jugendliche kommen (ich weiß es, verrat' es aber nicht). Und weil es nicht um Millionen, sondern nur um Hunderttausende geht, interessiert's kein Schwein. Es steht als Fünfzeiler in der Presse, und das Publikum 3. Klasse bleibt weg, weil für dieses eine oder zwei Mark weniger noch die Welt bedeuten kann: zum Beispiel Teilhabe an Kultur oder nicht!
Voriges Jahr war es die Kürzung des Werts der Theatergutscheine um ein Drittel, dieses Jahr sollte es das „Theater der Schulen“ sein, wo den Besuchern zwei, drei Mark mehr abgeknöpft werden sollten. Mal einfach so!
Die Kürzung des Gutscheinwerts konnte nach aufwendigen Aktionen abgewendet werden, beim „Theater der Schulen“ reichte die Angst der Verwalter, einen Umkehrschritt zu vollziehen, allerdings ohne zu erklären, woher das Geld kommen soll. Das Spiel wird damit nicht würdiger, verliert auch nicht an Schäbigkeit vor der Frage im Hintergrund, wie man den Theaterbesuch von Kindern und Jugendlichen denn auf „das finanziell Machbare begrenzen“ kann. Drei Verwaltungen verwalten, welche denkt? Das Parlament parliert, wer zieht den Strich? Meine Damen und Herren, leiten Sie ein paar Mark für Streetworker, Polizisten, Vollzugsbeamte und Bewährungshelfer in den richtigen Topf! Machen Sie eine Verwaltung verantwortlich, und befreien Sie das junge Publikum Berlins aus der Bittstellerhaltung: Sie kann wahnsinnig aggressiv machen. Gerd Hunger
Der Autor ist Sprecher von SPOTT Berlin, einer Vereinigung von rund 90 „freien“ Theatern.
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