■ Stadtmitte: Ein Hase erregt Aufsehen in der Politik
Der Hase gilt in der Tierwelt als sympathisches Wesen. Er ist fruchtbar, ein Frühlingsbote, wendig, schlägt Haken und kann schon als kreatives Tier gelten. Verirrt so ein Hase sich dann aber in die Politik, so scheint es mit diesen ganzen Tugenden vorbei zu sein: Er wird im Grunde seinem Widerpart, dem Igel, immer ähnlicher. Er entwickelt ein bodenhaftes Beharrungsvermögen, stellt sich tot oder igelt sich ein. In Berlin soll immerhin in sechs Jahren die Hauptstadt funktionieren. Hierzu bräuchte man einen wirklich ordentlichen Verkehrsplan mit dem öffentlichen Nahverkehr als Rückgrat des Systems. Was aber macht unser Haase? Er hängt den Träumen seiner Partei von vor zwei Jahren nach und versucht klammheimlich, doch noch ein Autoparadies durchzusetzen.
Berlin verliert seine Attraktivität in allen möglichen Bereichen. Die Industrie zieht ab, die Dienstleistung kommt nicht, und der öffentliche Nahverkehr – nämlich S-Bahnen, U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse – der einmal wirklich der beste auf dieser Erde war, ist heute schlechter als vorvorgestern. Der wichigste Senator zur Vorbereitung der Hauptstadt ist der, der die Infrastruktur für die Mobilität schafft, nämlich der Verkehrssenator und der tut seit mehreren Jahren überhaupt nichts dafür. Er bastelt an kleinen Parkkonzepten herum, die für das Ganze so wichtig sind wie ein Stachel auf dem Fell des Igels. Er kümmert sich um Toilettenhäuschen, und er ficht aussichtslose und überflüssige Auseinandersetzungen über die Bediensteten der BVG und der Reichsbahn aus. Es gelingt ihm noch nicht einmal, ein Busspurensystem, das inzwischen fast in jeder Provinzstadt geplant ist, zu entwickeln, viel weniger durchzusetzen, er kann das Geld, das er als Zuschuß bekommt, nicht ausgeben, und die Strukturreform bei der BVG, die er nun wirklich machen müßte, ist noch nicht einmal in Auftrag gegeben. Der Senat der Großen Koalition sieht dem tatenlos zu, weil er sich auch mit Nebensächlichkeiten beschäftigt: mit Olympia oder mit dem Streit, wann die Hauptstadt kommt, obwohl jeder wissen kann, daß die Maßnahmen, die notwendig wären, um die Hauptstadt aufzunehmen, mit diesem Verkehrssenat überhaupt nicht geschafft werden können.
Haase ist in dieser Provinzposse wahrscheinlich sogar das Alibi für die gesamten Versäumnisse, die die Stadtpolitik in der Zeit der Großen Koalition produziert hat. In Wirklichkeit ist Haase nicht Täter, denn er tut ja nichts, sondern Opfer. Und so sieht er ja auch aus, so leidend. Er leidet geradezu an seinem Nichtstun. Was man aber Skandal an diesem ganzen Vorgang nennen könnte, das ist dieser großflächige Experimentierraum Berlin für einen Senator, der als Verkehrssenator gehalten wird, weil die Leitung dieser Stadt glaubt, ohne Verkehrsplanung die nächsten Jahre und Jahrzehnte überstehen zu können.
Insoweit ist auch der Abwahlantrag inkonsequent, weil man ja davon ausgeht, es gäbe jemanden, den man abwählen könnte. Die richtige politische Haltung dazu wäre der Antrag, die Verkehrsverwaltung aufzulösen und die Funktionen auf die wirklich zuständigen oder eventuell handlungsfähigen Senatsverwaltungen zu übertragen, falls es so etwas derzeit in Berlin überhaupt gibt. Das Kalkül in Bonn, ein solcher Mann arbeite dem zentralistischen Denken entgegen, dürfte nicht aufgehen, denn die Bonner können sich einfach nicht vorstellen, daß man den Zeitverlust, der jetzt durch die Nichtplanung entsteht, in den nächsten 20 Jahren nicht mehr aufholen kann. Denn was in der Zwischenzeit geschieht, ist Planungschaos. Ohne die Grundlage für einen vernünftigen öffentlichen Personennahverkehr mit dem Gerüst S-Bahn, der Ergänzung U-Bahn und der bezirklichen Infrastruktur Straßenbahn kann eine Millionenstadt wie Berlin nicht mehr funktionieren. Da nutzt auch kein Kompromiß mehr, wenn man doch noch ein paar Busspuren plant und eventuell sogar noch LKW auf diese Busspuren bringt, damit den Personenwagenverkehr wieder etwas beschleunigt und folglich das Chaos immer stärker erhöht.
Also dem Verkehrssenator muß man kein Mißtrauen aussprechen, sondern – so er denn eine Leitungsfunktion hat – dem Regierenden Bürgermeister. Ansonsten aber zeigt der Fall Haase, daß Berlin entgegen seinen Beteuerungen in keinem Bereich auch nur die mindesten Anforderungen an Professionalität in seinen Führungsebenen erfüllt. Und dieser Hase – der gehört nun wirklich in den Wald und nicht in eine Senatsverwaltung. Hans Joachim Rieseberg
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