■ Stadtmitte: Die Mauer in den Köpfen abtragen
Entweder gemeinsam das Chaos erzeugen oder aber einvernehmliche Regelungen für die Organisation des nächsten Schuljahres treffen: So eindeutig ist die Alternative. Enorm wachsenden Schülerzahlen im Westteil der Stadt steht ein erheblicher Lehrerüberhang in den östlichen Bezirken entgegen. Wie kann gewährleistet werden, daß diese Lehrkräfte da arbeiten, wo sie gebraucht werden, obwohl bundeseinheitliche Regelungen zur Anerkennung der Lehrämter ausstehen und in Berlin zwei Tarifgebiete existieren. Außerdem: Werden Lehrkräfte mit einem Zeitvertrag im Westteil arbeitslos, wenn Lehrkräfte aus dem Ostteil an ihre Schulen versetzt werden?
Nach langen Verhandlungen haben die Senatsschulverwaltung und die GEW vereinbart:
Die Weiterbeschäftigung aller befristet angestellten LehrerInnen wird gesichert.
Für Berufsanfänger wird ein Einstellungskorridor realisiert.
Freiwillige Versetzungen von Ost nach West haben absoluten Vorrang vor Zwangsversetzungen.
In den Westen versetzte LehrerInnen erhalten 100 Prozent.
Der GEW ging es nicht nur darum, die Unterrichtsversorgung im Ost- und Wetteil der Stadt sicherzustellen. Ziel der GEW Berlin war es, endlich den einheitlichen Lehrerarbeitsmarkt in Berlin herzustellen und gleichzeitig die Arbeitsplätze von Lehrkräften im Ost- und Westteil der Stadt zu sichern.
Mit der Vereinbarung haben wir die rechtlichen Trümmer beseitigt, die einem weitgehend gleichberechtigten Einsatz von Lehrkräften in der ganzen Stadt im Wege standen – die Mauer in den Köpfen aber ist noch da.
Ich weiß, wie groß die Ängste, Vorbehalte und Vorurteile auf beiden Seiten sind. Werden die mehr als 500 Lehrerinnen und Lehrer, die jetzt aus dem Ostteil der Stadt in westliche Bezirke versetzt werden, dort auch von Schülern, Eltern und Kollegen akzeptiert? Lehrerinnen und Lehrer in Ost und West sind verschieden, da beißt keine Maus den Faden ab. Der banale Satz „Überall gibt es gute und schlechte Lehrer“ reicht als Erklärung nicht aus.
Nicht nur die Ausbildung, sondern vor allem jahrelange pädagogische Tätigkeit in völlig unterschiedlichen Systemen haben geprägt. Der Sympathievorschuß nach der Wende ist auf beiden Seiten verbraucht. Gegenseitige Skepsis, oft auch Mißtrauen und Ablehnung waren das Ergebnis zu geringer Bemühungen.
Jetzt kommt der Lehreraustausch zumindest in Richtung West durch die Entwicklung des Bedarfs in Gang. Das wird zu heftigen Diskussionen in den Lehrerzimmern führen. Schon erhalte ich Anrufe von Ost-Lehrern, nun müßten sie auch noch als Unterrichtsreserve für den Westen einspringen. Und West- Lehrer meinen, aufgund ihrer schlechteren Ausbildung müßten Ost-Lehrkräfte im Osten bleiben! Hinter solchen Äußerungen steckt mehr als die vorgebrachte Begründung, bin ich überzeugt. Die Vereinbarung ist so gestrickt, daß für real begründbaren Sozialneid kein Platz ist. Im Gegenteil: Arbeitsplätze im Ost- und Westteil werden gesichert, Neueinstellungen wurden vereinbart. Selbst Wartezeiten für anstehende Verbeamtungen werden durch die Vereinbarung weder positiv noch negativ beeinflußt. Deshalb sollten wir die Chance nutzen, unsere unterschiedlichen pädagogischen Erfahrungen und Vorstellungen jetzt besser in eine gemeinsame Diskussion einbringen zu können. Vorurteile und Vorbehalte kann man nicht durch Abgrenzung, sondern nur durch gemeinsame Arbeit und Kennenlernen überwinden. Der Vertrag nützt nicht nur den SchülerInnen, sondern auch den Lehrkräften im Ost- und Westteil der Stadt. Und er gibt allen am Schulleben Beteiligten die Chance, endlich auch die Mauer in den Köpfen zu überwinden. Erhard Laube
Berliner Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
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