Stadtleben: Rotes Nashorn randaliert im Rüebliland

Am Schweizer Nationalfeiertag präsentieren sich die Eidgenossen ganz multikulti mit japanischen Flamencotänzern. Das Berliner Publikum schätzt den kostenlosen Krustenbraten - für protestierende Hausbesetzer aus Genf hat es kein Verständnis

Blaue Teppichbahnen auf der Straße, ein Sandberg mit Haifischzähnen und 12.000 Kilo Krustenbraten - so leicht lässt sich die Schweiz an die Spree holen. Am Nationalfeiertag, der an die Entstehung der Eidgenossenschaft durch den Rütlischwur am 1. August 1291 erinnert, hatte die Schweizer Botschaft am Mittwoch Hungrige und sonstige Interessierte auf den Platz am Bahnhof Friedrichstraße geladen.

Seit acht Jahren stellt sich immer einer der 26 Schweizer Kantone zum Festtag vor - diesmal der Aargau, der sich mangels anderer Standortfaktoren mit dem Titel "Wasserkanton" schmückt. Entsprechend sollen die schlangenförmig ausgelegten blauen Teppiche die Flüsse Aare, Limmat und Reuss nachbilden.

Der von Fressbuden gesäumte Platz ist überlaufen mit Menschen vornehmlich höheren Alters. Einzig auf einen zwei Meter hohen Sandberg stürzen sich die Kinder. "Hätt ick mal ne Schippe mitjenommen, wa?", knurrt eine ältere Frau. Rahel Scheurel erklärt den Buddelkasten so: "In der Schweiz gibt es ja auch viele Berge." Eigentlich soll der Hügel eine Ausgrabungsstätte im Aargau nachbilden. In Ermangelung echter Fossilien hätten sie einfach Haifischzähne eingegraben, erklärt die 16-jährige Aargauerin, die eine von 75 eigens angereisten Kochlehrlingen ist. Wer im Haifischkasten fündig wird, bekommt einen Lebkuchen-Ammoniten als Belohnung.

Das zieht, denn das Augenmerk vieler Besucher liegt auf dem Leibeswohl. Hunderte Menschen drängeln sich vor den Buden, um einen Gratisklecks Birchermüesli aus einem Kaffebecherdeckel löffeln zu können oder den gesunden Aargauer Rüeblidrink kosten zu dürfen. "Rüebliland" nennen die Schweizer den Aargau liebevoll.

Um den Krustenbraten im Ciabatta mit Zwetschgenchutney entwickeln sich regelrechte Ellbogenkämpfe. "Das muss sein", sagt Monika Radach, die schon zum sechsten Mal beim Tag der Schweiz dabei ist und sich nach 20 Minuten Wartezeit an die Spitze der Menschentraube gekämpft hat. In Windeseile hat sich das Weißbrot mit der Fleischscheibe in der Mitte zum Must-have des Tages entwickelt.

Dabei soll sich der Höhepunkt der Veranstaltung auf der Bühne abspielen. Dort begrüßt Botschafter Christian Blickenstorfer die mampfende Menge mit einem "Grüezi miteinand". Er ist ein untersetzter Brillenträger, das Konfettimuster seiner Krawatte erinnert an die Sitzbezüge der BVG. Vom Rest seiner Rede versteht der Laie dank des Schwyzerdütsch kein Wort.

Dann kommt es zum Eklat: Ein paar junge Schweizer haben sich als rotes Nashorn verkleidet und protestieren gegen die Räumung des "Rhino", eines besetzten Hauses in Genf. Die Menge quittiert das mit Buhrufen und Pfiffen. "Es ist nicht alles so toll in der Schweiz, wie das immer gesagt wird", rufen die Demonstranten - bei diesen Schweiz-Fans haben sie wenig Glück. "Runter von der Bühne!", ruft eine Schweizer Seniorin, wobei der Krustenbraten aus dem Mund fällt, und bald stimmt die Menge auf den Bierzeltbänken und Liegestühlen in die Sprechchöre ein. Die Demonstranten ziehen ab.

Auf der Bühne fährt der Moderator mit seinem Loblied auf den Aargau fort. Schon Einstein sei hier zur Schule gegangen. Zudem sei die Schweiz nicht nur ein Land der Uhrmacher und Bankiers, sondern auch "multikulti". Das soll der nächste Auftritt beweisen: Als sich aber "Flamencos en route" mit ihrer japanischen Frontsängerin auf der Bühne formieren, schlendern viele Besucher auf den Flussteppichen zurück zur nächsten Fressbude.

Hans-Jörg Breitschmid ist einer von ihnen. "Ich wollte etwas typisch Schweizerisches hören, keinen japanischen Schreihals und irgendwelche Randalierer", meckert der 69-jährige Schweizer und Wahlberliner. Auf seine Trachtenjacke sind bunte Blümchen gestickt. Er betont, wie stolz er darauf sei, den Aargau seine Heimat nennen zu können. Flamenco hat er noch nie getanzt.

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