: Stadtguerilla mit Holzkanonen
Die salvadorianische Guerilla hat die Hauptstadt zur Kriegsfront erklärt / Urbane Kommandos attackieren Soldatenklubs, Busse und Strommasten / Die Armee steht den Aktionen bislang hilflos gegenüber und verlangt mehr Vollmachten zur Aufstandsbekämpfung ■ Aus San Salvador Ralf Leonhard
Kameraleute eilen herbei, die Polizei fährt mit großem Tatütata vor, zuletzt kämpft sich ein Rettungswagen durch eine Menge von Schaulustigen. „Ein Bombenanschlag“, heißt es. Polizisten hämmern an die Eisentür. Nichts rührt sich. Schließlich kommt ein Nachtwächter herbeigelaufen. Durch die Detonationswelle hat sich die Tür verzogen und muß von zwei Männern gewaltsam aufgedrückt werden. Das Innere des Animierlokals „Gloria“ ist mit Glassplittern übersät, die angekokelte Zwischendecke hängt in Fetzen herunter. Verletzte gibt es keine, der Anschlag traf den Nachtklub vor der Öffnung. „Hier pflegen sich die Militärs zu vergnügen“, weiß einer der Umstehenden. Ein Polizist grinst verlegen. Ende Oktober hatten die Stadtkommandos der FMLN bereits den Massagesalon „Faeces“, einen anderen stadtbekannten Soldatenpuff, ausgebombt.
Seit September folgt in San Salvador ein Guerillaanschlag auf den anderen, die Hauptstadt ist zur Kriegsfront geworden. Bei Einbruch der Dunkelheit schwärmen überall Gruppen von Soldaten in Kampfanzügen aus. Durch Flugblätter und über den Untergrundsender Radio Venceremos hat die FMLN die Bevölkerung gewarnt: Haltet Abstand von Militärfahrzeugen und Armee-Einrichtungen, mindestens 50 Meter. Am 30.November besetzten Guerilleros zwei Radiosender und ließen eine Kassette abspielen, auf der auch die US -Botschaft und deren Personal zum militärischen Ziel erklärt wurden.
Kaum ein Tag vergeht, ohne daß irgendwo an der Peripherie ein Militärtransport beschossen oder ein Strommast sabotiert würde. Busse von Transportunternehmern, die auf Drängen der Regierung den letzten Verkehrsboykott mißachteten, werden systematisch in Brand gesetzt. Wochen stehen diese Busse unter dem Schutz der Armee und werden von je zwei Soldaten begleitet. Doch als Passagiere getarnte Guerilleros sind bereits dazu übergegangen, die Uniformierten niederzuschießen. Meistens können sie unerkannt in einem Fluchtfahrzeug entkommen.
Gefürchtete Holzartilleria
Die Stadtfront der FMLN ist erst in den letzten zwei Jahren wieder aufgebaut worden. Nach der Ermordung der Comandante Ana Maria und dem Selbstmord von Comandante Marcial im Mai 1983 hatte sich die Stadtfront unter dem Namen „Frente Metropolitano Clara Elisabeth Ramirez“ vom FMLN-Oberkommando losgesagt. Diese Dissidentengruppe wurde aber in den folgenden Jahren weitgehend aufgerieben. 1985 mußte die FMLN angesichts der zunehmenden Luftbombardements ihre Bataillone auflösen und zur klassischen Guerillastrategie zurückkehren. Gleichzeitig wurde beschlossen, den Krieg in die urbanen Ballungszentren zu tragen.
Die meisten der Guerilleros, die sich an den Kommandoaktionen beteiligen, sind in den letzten zwei Jahren herangebildete Kämpfer, versichert ein Informant, der den Aufständischen nahesteht. Die erprobten Kader werden für einen größeren Schlag zurückgehalten. Derzeit gehe es in erster Linie darum, die Reaktion der Sicherheitskräfte zu testen. Diese kommen in der Regel viel zu spät, um die Attentäter auszuforschen, und antworten mit blinder Repression. Als vor wenigen Tagen ein Bus im Vorort Soyapango in Flammen aufging, tauchten wenig später die Leichen von vier Teenagern auf, die mit dem Anschlag nicht das geringste zu tun hatten.
Die hausgemachten Artilleriegeschütze, wie sie am 1.November bei einer Attacke auf das Hauptquartier der Nationalgarde am Rand der Innenstadt von San Salvador eingesetzt worden waren, lösen sich buchstäblich in Rauch auf. Wenn die ferngezündeten Geschosse abgefeuert werden, fängt die hölzerne Abschußbasis Feuer und verbrennt, bevor die Suchtrupps ausrücken. Nach dem spektakulären Angriff während eines sonnigen Nachmittags hatten die Sicherheitskräfte weder Tatverdächtige ausforschen noch Corpora delicti sicherstellen können.
Oberst Rene Emilio Ponce, der am selben Tag General Blandon als Generalstabschef abgelöst hatte, spielte damals die Bedeutung des Anschlags herunter: „Die Terroristen haben ihr Ziel, die Einnahme der Kaserne, nicht erreicht.“ Als ob die „muchachos“ darauf aus wären, feste Stellungen in der Höhle des Löwen zu erobern. Oberst Zepeda, der als Chef der 1.Infanteriebrigade für die Aufstandsbekämpfung in der Hauptstadt verantwortlich ist, erklärt die Guerilla für „militärisch und moralisch geschlagen“. Gleichzeitig muß er aber zugeben, daß die Stadt äußerst erfolgreich ist: „65 Prozent unserer Truppen sind zum Schutz von Wirtschaftsobjekten abgestellt.“ Seine Einheit sei während der Kaffee-Ernte auf dem San-Salvador-Vulkan sogar zu 85 bis 90 Prozent gebunden. Auf dem Vulkan vor der Hauptstadt hat die Armee ein paar Stellungen, muß aber ständig mit Hinterhalten rechnen. Erst vor wenigen Tagen wurde ein Trupp, der zu zivilen Propagandaaktionen in der Ortschaft El Salitre ausrückte, um vier Mann reduziert, 15 weitere Soldaten erlitten Verletzungen. Auf dem Vulkan erhalten die Stadtkämpfer der FMLN auch ihre militärische Ausbildung und vermutlich ihre Instruktionen.
Armee tappt im dunkeln
Die Militärs wissen sich nicht zu helfen. So richten sich ihre Maßnamen vor allem gegen jene Gruppen, die sie als zivile Deckorganisationen der FMLN betrachten. Ende November stellte ein Kommando der 1.Infanteriebrigade das Lokal des Genossenschaftsdachverbandes COACES auf den Kopf - ohne Durchsuchungsbefehl. Außer ein paar Flugblättern der Organisation konnten die Soldaten allerdings kein verdächtiges Material sicherstellen. Zepeda: „Irgendwo müssen sie ja ihre Bomben herstellen.“ Er beklagt, daß die Gesetzgebung der Armee zu viele Hindernisse den Weg legen, die ein effizientes Eingreifen erschwerten. Und die US -Amerikaner, die El Salvador ständig als funktionierende Demokratie verkaufen wollten, würden die Sache auch nicht gerade leichter machen. Deswegen hätten die hohen Militärs bereits im Parlament vorgesprochen und mehr Vollmachten für die Aufstandsbekämpfung gefordert. Ihr Wunsch wird nicht ungehört bleiben. Oberst Zepeda kündigt verstärkte Straßensperren, mehr Hausdurchsuchungen, vermehrte Ausweiskontrollen an, „um die Bewegungsfreiheit der Terroristen einzuschränken“. In den proletarischen Vororten versucht die Armee auf zweierlei Weise, dem Problem der Rebellion beizukommen: durch Eliminierung Verdächtiger und Rekrutierung der Jugendlichen. „Die Rekrutierungskommandos haben ein Klima des Terrors geschaffen“, klagt ein Familienvater aus Ilopango.
Dazu kommt die psychologische Kriegsführung. Ihr Ziel ist es, die FMLN und deren Aktionen zu diskreditieren. Richten sich die Anschläge der Guerilla fast ausnahmslos gegen militärische Objekte und Infrastruktur, so machen immer wieder mysteriöse Terroranschläge Schlagzeilen, die von der Regierung und der Rechtspresse unisono den „Kommandos der FMLN-FDR“ angelastet werden. Ein Sprengstoffanschlag auf das Hamburger-Lokal „Biggest“ forderte Verletzte unter Angestellten und Kunden. Die Verantwortung übernahm ein bis dahin unbekanntes „Kommando Manuel Jose Arce“, benannt nach dem Gründer der salvadorianischen Armee im vorigen Jahrhundert. Ende November ging der Reisebus der mexikanischen Musikgruppe „Flammers“ in Flammen auf. Die Regierung verurteilte den „sinnlosen Terrorismus der FMLN -FDR“. Interessanterweise erfolgte dieser Anschlag wenige Tage bevor Napoleon Duarte zur Amtseinführung des neuen Präsidenten Salinas de Gortari nach Mexiko reiste. Von beiden Aktionen hat sich die FMLN umgehend distanziert.
Optimisten in den Reihen der FMLN sprechen jetzt bereits von Aufstandsbewegungen, die durch die Operationen in der Stadt ausgelöst werden könnten. „Die Leute sehen, daß die FMLN stark ist, und das läßt sie wieder an den Sieg glauben“, erzählt einer, der zum Logistikapparat der Rebellen gehört. Ignacio Ellacuria, Rektor der katholischen Universität von San Salvador und linker Vordenker, ist da skeptischer: „Wir glauben, daß das eine falsche Politik ist, die geändert werden muß. Außerdem vermindert sie die Chance ernsthafter Verhandlungen. Auch die Politiker der FDR, die im Laufe des letzten Jahres aus dem Exil zurückgekehrt sind, wollen nicht an die Aufstandslösung und den Zusammenbruch der Regierung glauben. Deswegen haben sie sich entschlossen, das Risiko einzugehen, sich an den kommenden Präsidentschaftswahlen zu beteiligen. „Bis März kann noch viel passieren“, orakelt ein FMLN-Sympathisant, vielleicht können diese Wahlen gar nicht mehr stattfinden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen