Stadtgespräch: Kaffeehaus und Tollhaus
Wem der tschechische Präsident Miloš Zeman den letzten Rest seines schillernden Rufes geopfert hat
Alexandra Mostyn aus Prag
Kaffeehaus. Gibt es eigentlich etwas, das essenziell mitteleuropäischer wäre? Ein Ort, an dem man Freunde trifft, die längst zu so etwas wie Familie geworden sind, an dem man Bücher nicht nur liest, sondern auch schreibt. Wo man nicht nur diskutiert, sondern gleich die Welt rettet. Die mitteleuropäische Kaffeehauskultur, angepriesen in jedem Reiseführer über das einstige Kakanien, ist immaterielles europäisches Kulturerbe. Nur in Tschechien ist das „Kaffeehaus“ jetzt zum Kampfbegriff geworden.
Geprägt hat ihn, welch Überraschung, der Kaiser und König von Zote und Bonmot: der tschechische Präsident Miloš Zeman. Der hat das Kaffeehaus schon während der Präsidentschaftswahl 2013 zu seinem Feind erklärt, zum Hort Intellektueller, die nicht arbeiten und den lieben langen Tag nur daran feilen, ihn zu ärgern – im Gegensatz zu den rechtschaffenen Tschechen, den „anständigen“, die den gewählten Präsidenten als ihr Oberhaupt respektieren, egal ob er fast besoffen die Kronjuwelen vollkotzt oder das Rauchen im Erwachsenenalter als unschädlich deklariert.
Mit der Neuerfindung des Kaffeehauses als Pauschalisierung für den gesellschaftskritischen Teil der tschechischen Bevölkerung, also jenen 46 Prozent, die nicht für Zeman gestimmt haben, hat der Präsident das Land schulbuchmäßig gespalten. Die vergangene Woche hat nun gezeigt, dass das „Kaffeehaus“ auch die Straße erobern kann. Am Mittwoch demonstrierten laut Polizeiangaben rund 20.000 Menschen auf dem Prager Wenzelsplatz.
Denn es waren Mitschnitte von Finanzminster und Vizepremier Andrej Babiš an die Öffentlichkeit gelangt, aus denen klar hervorgeht, wie schmutzig der Oligarch seine Kämpfe führt. Babiš und Zeman einen nicht nur fadenscheinige Privatisierungen um die Jahrtausendwende, sondern auch eine Nähe zum russischen Öloligarchen Igor Setschin. 2013 erstand Babiš das einflussreiche Verlagshaus Mafra, Herausgeber großer Zeitungen wie Mladá fronta Dnes. Und diese Zeitung nutzte er, wie die Mitschnitte belegen, um seiner politischen Konkurrenz zu schaden. Genug Stoff also, nicht nur für das „Kaffeehaus“, sondern sogar für das Europaparlament, das am 1. Juni auf Antrag deutscher CDU-Abgeordneter – die Babiš vorwerfen, gegen die Euro-Einführung in Tschechien zu sein – darüber diskutiert.
In Prag wurde demonstriert. Und debattiert. Das Abgeordnetenhaus erklärte den Vizepremier zum Lügner. Man könne ihn umbringen, aber zurücktreten werde er nicht, erklärte Babiš daraufhin dramatisch. Er zählt auf Miloš Zeman. Der weigert sich bislang, verfassungswidrig, Babiš als Finanzminister zu entlassen, wie von Ministerpräsident Sobotka vorgeschlagen. Stattdessen hat er in der Kiste politischer Kommunikationstricks noch tiefer gewühlt. Und damit das „Kaffeehaus“, aber auch den Stammtisch erst einmal sprachlos gemacht.
Zeman, der während seines Präsidentschaftswahlkampfs immer wieder betont hatte, im Gegensatz zu seinen Vorgängern keine Gnade walten zu lassen, hat nämlich eine Begnadigung erteilt. Und zwar nicht irgendwelchem Schwerkranken oder zu Unrecht Verurteilten. Sondern dem wohl umstrittensten Mörder der tschechischen Neuzeit: Jiří Kajínek.
Kajínek wurde wegen zweifachem Auftragsmord und einem Mordversuch zu lebenslanger Haft verurteilt. Bekannt wurde er, weil er es vor Jahren geschafft hatte, aus seinem Hochsicherheitsgefängnis zu entkommen und sich mehrere Tage bei der Frau eines Mitinsassen zu verstecken. Mehrere Versuche, das Urteil zu revidieren, sind gescheitert. Es gibt aus rechtlicher und menschlicher Sicht keinen Grund, Kajínek zu begnadigen.
Der Schachzug des Präsidenten war natürlich brillant. Mit seiner Begnadigung eines rechtskräftig verurteilten Auftragskillers hat Zeman es geschafft, die Aufmerksamkeit des „Kaffeehauses“ weg von Andrej Babiš und seinen Machenschaften zu lenken. Fast rührend, dass Zeman den letzten Rest seines Rufs opfert, um Babiš zur Hilfe zu eilen.
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