Stadtgespräch: Wer behindert wird
Griechenlands Sparkurs trifft Menschen mit Behinderung am härtesten. Jetzt wird protestiert
Theodora Mavropoulos Aus Athen
Eine Gruppe Studenten steht mit Kaffeebechern in der Hand auf dem Klathmonos-Platz im Zentrum Athens. Sie sind ins Gespräch vertieft und diskutieren darüber, ob sie nach dem Studium lieber ins Ausland gehen sollen – hier gäbe es ja doch keine Jobs. Jeder vierte in Griechenland ist arbeitslos. Unter Jugendlichen ist die Arbeitslosenquote noch höher.
Einer der jungen Männer sitzt im Rollstuhl. „Ihr habt ja noch Chancen, meine sind gleich null“, sagt der 23-jährige Kostis. Die anderen schauen betreten zu Boden. Sie wissen: In Griechenland gibt es kein Gesetz, welches behinderten Personen Schutz bietet. Heute – einen Tag vor dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung – findet eine Demonstration zur Stärkung der Rechte für Behinderte und gegen jegliche weitere Kürzungen statt. „Kämpft, kämpft alle Behinderte – haltet zusammen!“ schallt es aus den Megaphonen.
„Behinderte Personen sind mehr als doppelt so oft von Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen ohne Behinderung,“ sagt Yannis Vardakastanis, Leiter des Nationalen Verbandes der behinderten Menschen in Griechenland: „Wir wollen in Würde leben.“ Es sei die Pflicht der Regierung und der EU, die Rechte der Menschen mit Behinderung zu verbessern. Diskriminierung, Ausgrenzung und Verarmung müssten gestoppt werden, betont Vardakastanis, der selbst blind ist.
Die Rentenkürzungen und Kürzungen von Sozialleistungen sowie der Einbruch des Gesundheitssystems habe besonders für Menschen mit Behinderung gravierende Folgen, analysiert er. „Durch den Einbruch des Gesundheitssystems müssen die Menschen selbst für ihre Medikamente aufkommen, die die meisten Behinderten täglich einnehmen“, sagt Vardakastanis. Gleichzeitig seien auch Renten von Behinderten gekürzt worden. Viele können sich ihr Leben nicht mehr leisten.
Griechenlands Bevölkerung wehrt sich mit allen noch vorhandenen Kräften gegen den Sog des dritten Sparpaketes. Zwar sagte EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici vergangene Woche bei seinem Besuch in Athen, man denke nicht über ein viertes Hilfsprogramm nach. „Wir befinden uns gerade im dritten Hilfsprogramm – und drei sind eigentlich schon zu viel“, so Moscovici. Auch Griechenlands Finanzminister Evklidis Tsakalotos holte pathetisch aus und bezeichnete das Treffen als einen Meilenstein für die Zukunft des Landes.
Doch Medien spekulieren weiter über ein viertes Hilfsprogramm mit entsprechenden Auflagen. Auch die Bevölkerung ist sehr beunruhigt.
Am 5. Dezember trifft sich die Eurogruppe. Jetzt würden nochmals Sparmaßnahmen verhandelt, seufzt Kostis und nippt an seinem Kaffee. Das werde eh nichts, die wollen einen niederknüppeln, sagt er. Die anderen nicken. Kostis sagt, er mache sich große Sorgen, wie solle er hier als Behinderter leben, wenn das so weiter gehe.
Sein Vater, erzählt er, hat zum Glück noch einen Job. Seine Mutter ist seit zwei Jahren arbeitslos. Seiner Großmutter wurde die Rente schon mehrmals gekürzt. Sie bekommt jetzt nur noch knapp 600 Euro. Das reicht nicht für ihre Medikamente, die muss ihr der Vater bezahlen. Kostis zündet sich eine Zigarette an. „American Spirit“, heißt die Marke – die jungen Leute feixen kurz und lachen. Schnell werden sie wieder ernst. Ja, Ministerpräsident Tsipras rede viel. Da könne man sich nie sicher sein, was kommt. Jetzt werde sich bei der Eurogruppe beweisen, ob er erneut einknicke. Sollte dort ein Schuldenerlass verzögert werden oder ein noch härterer Sparkurs gefordert werden, droht dem Linken-Chef der politische Absturz. Es könnte zu Neuwahlen kommen.
Das wäre auch schon egal, sagt Kostis. Weder die Linke noch die Konservativen hätten sich bis jetzt für die Rechte der Menschen mit Behinderung in Griechenland eingesetzt.
Der Demonstrationszug setzt sich in Bewegung. Schwarze Ballons sind an zahlreiche Rollstühle gebunden. Auch an den von Kostis.
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