Stadtgespräch Julia Neumannaus Beirut: Warum im Libanon niemand weiß, wann das Wasser wieder fließt, und unsere Autorin mitten in der Nacht ihre Haare wäscht
Zum Einschlafen habe ich früher gern plätscherndes Wasser gehört. Bis ich nach Beirut zog. Wenn ich heute diesen Ton höre, ist es vorbei mit der Entspannung. Auch diese Nacht, kurz nach null Uhr: Durch mein geöffnetes Fenster dringt ein Plätschern, es stammt von einem kleinen Wasserfall, der sich seinen Weg von einem Wassertank auf dem Dach bis hinunter in den Hinterhof sucht. Ziemlich verschwenderisch, denn Wasser ist rar im Libanon.
In Beirut liefert die Stadtverwaltung Wasser in die Häuser, allerdings nicht durchgängig. Damit wir Wasser nutzen können, um zu duschen, abzuwaschen oder zu putzen, auch wenn der Staat die Leitungen zudreht, läuft es zunächst in große Tanks, graue Container aus Hartplastik, die ungefähr 1.000 Liter fassen. Sind diese Plastiktanks voll, fließt das Staatswasser in einen Reservetank, eine Metallbox auf dem Dach. Sobald auch dieser Tank voll ist, läuft das Wasser einfach weiter – bis er aus dem oberen Loch der Reserve auf den Asphalt plätschert. Der Staat kann ja nicht wissen, wann unsere Tanks voll sind.
Gleichzeitig ist der Miniwasserfall vor meinem Fenster ein sicherer Indikator dafür, dass das städtische Wasserversorgungswerk den Hahn aufgedreht hat beziehungsweise seine Pumpen laufen lässt. Solange das Staatswasser fließt, ist der Stand in meiner Zisterne egal. Die Menge, die ich entnehme, fließt direkt nach.
Also rattert mein Gehirn nachts um halb eins und ich frage mich, was ich erledigen muss: zuerst zur Waschmaschine rennen? Blöd, wir haben mal wieder einen Stromausfall. Also Wasser abfüllen für die Handwäsche – und für die Blumen. Danach schnell unter die Dusche zum Haarewaschen. Danach laufe ich in den Hof und fülle das überschüssige Wasser in Flaschen ab. Niemand weiß, wann das Wasser wieder kommt.
Der libanesische Staat ist pleite. Das Wasserversorgungsnetz ist marode, und weil das Benzin für den Strom der Wasserpumpen teuer ist, pumpt der Staat weniger Wasser in unsere Wohnungen. Vor Kurzem blieb es über zwei Wochen aus. In der Nachbarschaft hieß es, die Rohre seien kaputt oder es gebe kein Benzin, um die Stromgeneratoren für die Pumpen zu betreiben.
Wenn die Tanks leer sind, klappert unser Hausmeister alle Hausparteien ab und fragt nach, ob sie Wasser nachfüllen lassen möchten. Dann kommen private Tanker, die Frischwasser über Schläuche aus einem Lkw in unsere Zisternen pumpen. Das kostet rund 12 Euro pro Tank. Wenn eine Hauspartei das nicht zahlen möchte, müssen die anderen mehr zahlen.
Ich wohne in einer wohlhabenden Gegend Beiruts, daher können wir uns Wasser liefern lassen. Doch durch die Wirtschaftskrise hat die lokale Währung innerhalb von drei Jahren 96 Prozent an Wert eingebüßt. Der UNO zufolge leben 80 Prozent der Menschen im Libanon in Armut – darunter Geflüchtete aus Syrien oder Palästinenser*innen in dicht bebauten Vierteln mit schlechten Hygienebedingungen. Sie können sich Frischwasser nicht leisten, nutzen Grundwasser mit selbstgebauten Brunnen oder verunreinigtes Wasser, das außerhalb Beiruts aus Bächen oder Flüssen kommt.
Diese Faktoren tragen Schuld daran, dass sich seit Oktober die Cholera ausbreitet. Hilfsorganisationen versorgen die Armen mit Frischwasser, Chlortabletten und Medizin. Das libanesische Gesundheitsministerium verteilt Choleraimpfungen, gesponsert von Ägypten und der Weltgesundheitsorganisation. Das Wasserministerium bittet internationale Geber um Geld, damit es Kläranlagen betreiben kann, doch die internationale Gemeinschaft möchte der korrupten Elite im Libanon kein Geld mehr leihen, bis diese Reformen durchdrückt. Solange der Staat nicht funktioniert, essen Menschen im Libanon kein rohes Gemüse, werfen Chlortabletten in ihre Tanks oder trinken verunreinigtes Wasser. Wasser im Libanon ist alles andere als entspannend, es ist hoch gesellschaftspolitisch.
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