■ StadtMitte: Ein integriertes Verkehrskonzept fehlt
Ein integriertes Verkehrskonzept fehlt
Der Senat hat in seiner Regierungserklärung dem öffentlichen Verkehr die erste Priorität eingeräumt und im Innenstadtbereich den Modal Split auf 80:20 zugunsten des öffentlichen gegenüber dem motorisierten Individualverkehr angestrebt. Leider sehen die Planungen der Verkehrsverwaltung in der Realität ganz anders aus. Hier wird grundsätzlich dem Auto Priorität gegeben — und das in dem innersten der Innenstadtbezirke und außerdem in dem Bezirk mit den größten und breitesten Straßen Berlins. In Ost-Berlin hat man in den sechziger Jahren begonnen, die autogerechte Stadt zu bauen. Die Straßen um den Alex weisen deshalb bis zu zehn Autospuren auf. Dazu kommen riesige Parkplatzflächen mitten im Zentrum. Durch diese bauliche Situation werden zahlreiche Autofahrer in die Innenstadt gezogen, Anschlußstraßen sind ständig verstopft, Staus werden erzeugt, Radwege sind so gut wie nicht vorhanden, Fußgänger werden durch Tunnel geschickt, um von einer Straßenseite auf die andere zu gelangen. Für einen Rollstuhlfahrer ist es nahezu unmöglich, den Alexanderplatz zu erreichen. Nur über eine Kreuzung im Bereich der Spandauer Straße gelingt es ihm, ebenerdig auf dieses Gelände zu kommen. Hinzu kommt, daß es im gesamten Innenstadtbereich kaum Bäume gibt. Ein integriertes Verkehrskonzept aber, für das der Verkehrssenator zuständig ist, fehlt. Es muß den Autoverkehr auf seinen Platz verweisen, zusätzliches Bauland gewinnen, Raum für das Leben auf der Straße bereitstellen, alle Straßen begrünen und natürlich etwas für den Fahrradverkehr und den öffentlichen Nahverkehr tun. Das bedeutet den Rückbau von Straßen, die Erweiterung des Straßenbahnsystems, Einführung von Bus- und Radspuren. Zur Zeit wird immer nur über einzelne Teile diskutiert, mal über die Hauptstraßen, mal über Tempo30, mal über die Straßenbahn.
Unsere konkreten Vorschläge sind bisher auf wenig Gegenliebe gestoßen. In einigen Bereichen sehen wir Sofortmaßnahmen als völlig problemlos an. So kann man in den breiten Straßen um den Alex sofort mit ein wenig Farbe Radwege und Busspuren einrichten, Ampeln umschalten, damit man als Fußgänger über die Straße laufen kann und nicht durch den Tunnel muß, Parkplatzbewirtschaftung weiter ausdehnen und in den Wohngebieten Tempo-30- Schilder aufstellen, um das Wohnen in der Innenstadt attraktiver zu machen. In der Praxis kann man aber die Orte, wo eine Unterstützung durch die Straßenverkehrsbehörde beim Durchführen solcher Maßnahmen passiert ist, an den Fingern einer Hand abzählen. Begründung: all das widerspricht den Koalitionsverhandlungen des Senats, nämlich: Straßenrückbau ist nicht gewollt.
Wenn das nicht gewollt ist, dann ist aber auch der Modal Split von 20:80 nicht gewollt, denn dieser funktioniert nur mit Straßenrückbau, mit Bereitstellung von Flächen für den öffentlichen Verkehr. Er funktioniert nur, wenn zusätzliche Straßenbahnstrecken gebaut werden und die vorhandenen natürlich erhalten werden, nicht wie zur Zeit in der Friedrichstraße, wo daran gedacht wird, diese herauszunehmen. Berlin sollte sich orientieren an vielen anderen europäischen Großstädten, wo intensiv gekämpft wird, attraktive Städte wiederherzustellen und nicht die Pläne der fünfziger und sechziger Jahre der autogerechten Stadt aus der Schublade zu ziehen.
Die Autorin ist Stadträtin für Bauen und Wohnen im Bezirk Mitte für das Bündnis 90/Grüne. In der Rubrik Stadtmitte schreiben Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu Problemen der zusammenwachsenden Stadt.
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