Staatstheater unter veränderten Bedingungen: Fein gesponnene Bezüge

Die neue Intendantin am Gorki, Shermin Langhoff, könnte wichtige Impulse geben für die Stadt.

Fangen wir mit dem umgedrehten R im Wort „Gorki“ an, wie es nun im neuen Logo des Maxim Gorki Theaters erscheint, das aus ebendiesem Wort besteht: Gorki. Das einzige deutschsprachige Theater, darauf wies Kointendant Jens Hillje bei der Eröffnungspressekonferenz am Mittwoch hin, das nach einem nicht deutschsprachigen Autor benannt worden ist, nach dem russischen Schriftsteller Maxim Gorki eben. Darüber hatte man bisher auch noch nicht nachgedacht. Und so ging es bei dieser Pressekonferenz manchmal, die mit winzigen Details plötzlich ganz neue Bezüge und Blicke auf diesen Ort eröffnete.

Das umgedrehte „R“ ist so ein Detail. Marianna Salzmann, die in Russland geborene deutsche Dramatikerin und künftige Hausautorin des neuen, alten Maxim Gorki Theaters, erklärte, was es damit auf sich hat: so nach links gekippt, wird aus dem lateinische Buchstaben „R“ nämlich der kyrillische Buchstabe „Ja“. „Ja“ heißt auf Russisch „Ich“. Und dieses „Ich“, beziehungsweise die unterschiedlichsten Identitätskonstruktionen in den gegenwärtigen historischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Konstellationen wird es an diesem Haus in Zukunft gehen. Das klingt erst mal simpler, als es ist – steht dieses Ich doch vor dem „Wir“, aus dem dann eine Gesellschaft werden soll. Wer sind diese einzelnen überhaupt. Nicht alle kamen in der Hochkultur bisher vor. Nicht alle haben das Selbstbestimmungsrecht über die Zuschreibung, wer sie in dieser Gesellschaft sind: Kinder von Eltern zum Beispiel, die nicht in Deutschland geboren wurden. Dass dies anders werden soll und muss, auch mit dieser Forderung tritt dieses Theater an. Aber bei aller Entschiedenheit doch mit großer Behutsamkeit, wie diese Pressekonferenz zeigte, mit feinem Sinn für vorhandene oder verschüttete Bezüge.

Darunter auch Referenzen zur 1848er Revolution, die sich rund um diesen Ort ereignete, die Neue Wache mit Helmut Kohls Pietà, den Platz der Bücherverbrennung gegenüber. Man ist ja jetzt mitten in Berlin, sagt Shermin Langhoff. Nicht nur im historischen Zentrum mit seinen Überschreibungen und Deutungshoheitsgebieten. Sondern auch im touristischen Zentrum, weshalb in Zukunft alle Vorstellungen (außer Premieren) englisch übertitelt sein werden.

Shermin Langhoff leitete die Pressekonferenz mit einem schönen Satz von Carl Friedrich Zelter ein, der im 18. Jahrhundert der Leiter der Singakademie war, für den Schinkel das nun als Theater genutzte Haus erbaute: Jeder Fremde und jedes hinzutretende Mitglied solle hier etwas finden.

Dann stellte sie statt großen Konzeptgetues das neue Gorki-Ensemble vor: lauter Berliner unterschiedlichster Herkunft. Und wieder gibt es fein gesponnene Bezüge: Da ist auf der einen Seite Ruth Reinecke, seit den 1970er Jahren Mitglied des Ensembles. Auf der anderen Seite der Schauspieler und Regisseur Çetín Ípekkaya, der in den 1980er Jahren das türkische Theater Tyatrom in Westberlin geleitet hat, eine Art Urzelle des postmigrantischen Theaters, dem unter Shermin Langhoff das Ballhaus Naunynstrasse in den letzten Jahren ein so kraftvolles Forum geschaffen hat. Ruth Reinecke und Çetín Ípekkaya werden am 15. November gemeinsam in der Eröffnungspremiere der Intendanz Langhoff auf der Bühne stehen: Anton Tschechows Stück über einen Epochenwechsel „Der Kirschgarten“, von Nurkan Erpulat inszeniert. Erpulat wird neben Stefan Nübling (der ein Stück von Sibylle Berg uraufführen wird) und Yael Ronen künftig fest am Maxim Gorki Theater arbeiten. Auch der „Kirschgarten“ ist nicht nur mit seiner Besetzung, sondern darüber hinaus programmatisch: Er bedeutet Bekenntnis zum Stadttheater, das weitergedacht werden soll unter den Bedingungen einer veränderten, sich verändernden Gesellschaft – bedeutet aber auch Bekenntnis zur Geschichte des Hause.

Die Studiobühne heißt nun „Studio Ja“, mit dem umgedrehten R, und wird von Marianna Salzmann geleitet, die hier eine Art postnationales Labor einrichten will – sozusagen „unternational“ arbeiten will, wie es eine schöne neue Gorki-Wortschöpfung beschreibt. Hier soll das Projekt des Selbstbestimmungsrechts über Zuschreibungen und Verortungen, das sich das Theater auf die Fahnen schrieb, noch mal radikalisiert werden – ohne Sprachbarrieren, Gattungs- oder sonstige Grenzen. Mit von der Partie wird das Künstlerkollektiv „Conflict Zone Arts Asylum“ sein, zu dem neben Marianna Salzmann unter anderem Michael Ronen, Deniz Utlu und der Musiker Daniel Kahn gehören.

Vom neuen Maxim Gorki Theater aus könnten für das ziemlich angeschlagene Stadttheaterkonzept vielleicht wichtige Impulse ausgehen. Das ist die vorsichtige Hoffnung, mit der man diese Pressekonferenz verlässt.

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