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St. Paulis Rugby-Frauen sind wieder daTränen fließen nur vor dem Spiel

Nach drei Jahren sind die Rugbyfrauen des FC St. Pauli zurück in der 15er-Bundesliga. Beim ersten Spiel müssen sie sich Münster geschlagen geben.

Kampf um jeden Zentimeter: St. Pauli ging in Münster punktemäßig leer aus Foto: Svenja Michel
Leo Schurbohm

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Leo Schurbohm aus Münster

taz | Der letzte motivierende Satz der Mannschaftskapitänin, dann ein Moment Stille. Alle Spie­le­rin­nen strecken ihre linken Hände aus und legen sie übereinander in die Mitte. Ein tiefer Atemzug, dann schreien sie: „Immer nach vorn, niemals allein.“ Die Hände schnellen in die Luft. Der Kreis löst sich auf, jede rennt auf ihre Position. Das Spiel beginnt.

Es ist Samstag, das erste Spiel der Saison gegen die Rugby Ruckoons in Münster. Die Aufregung in der Mannschaft ist groß, denn nach drei Jahren sind die Rugby-Frauen des FC St. Pauli zurück in der 15er-Bundesliga.

Grund für die Pause: In den vergangen Jahren gab es nicht genügend Spielerinnen. Nach Corona sei die Mannschaft nur noch dünn besetzt gewesen, sagt Kapitänin Martina Lenton. Viele hätten ihr Studium beendet und seien daraufhin weggezogen. Es habe zudem Verletzungen gegeben und kein Jugendteam, das aufsteigen konnte. Sie seien nur noch 25 Frauen gewesen.

Ein 15er-Team mit so wenigen Mitgliedern sei verantwortungslos, sagt Lenton. Es passiere dann schnell, dass schon verletzte Spielerinnen aufs Feld gehen, um das Team nicht im Stich zu lassen, und sich dadurch noch stärkere Verletzungen zuziehen.

Instagram bringt neue Spielerinnen

Das Team trat daraufhin nur noch in der 7er-Bundesliga an, wo nur sieben Spielerinnen gleichzeitig auf dem Feld stehen. Dafür benötigt man ein viel kleineres Team. 15er ist eigentlich die Standardform, in Deutschland aber seltener.

Der Rückzug der St.-Pauli-Frauen aus der 15er-Bundesliga wurde damals nicht als Auflösung gesehen, sondern eher als Beginn einer Aufbauphase. Es mussten neue Leute gefunden und trainiert werden. Ziel war, einen Kader von mindestens 35 bis 40 Frauen zu erreichen – und das hat geklappt. Das Team besteht mittlerweile sogar aus circa 60 Frauen im Alter von 17 bis 37. Manche spielen schon lange, andere haben gerade erst angefangen.

Momentan kämen jede Woche ein bis zwei Anfragen für Probetrainings, sagt Lenton. „Etwa 40 Prozent neuer Anfragen kommen direkt über Insta.“ Seit März 2023 rufen sie auf der Plattform dazu auf, zum Training zu kommen. Mit Fotos und Videos zeigen sie Eindrücke von Trainingssituationen und Spielen, und erreichen damit tausende Menschen. „Wir zeigen, wer wir sind und nicht nur Sport, Sport, Sport“, sagt die Kapitänin.

Dass sie jetzt so viel Aufmerksamkeit bekommen, seien sie gar nicht gewöhnt – besonders als Frauenteam. „Es war schon ein Kampf, überhaupt einen eigenen Account erstellen zu dürfen“, sagt Lenton. Es hieß im Verein, das bräuchten die Frauen nicht – jetzt seien alle davon begeistert und ließen sich inspirieren.

Auch am Spieltag drehen die Frauen ein Video, posten Fotos und lassen ihre Fol­lo­wer:­in­nen so an dem für sie so besonderen Tag teilhaben. Der beginnt schon früh – um acht Uhr morgens auf einem Parkplatz am Berliner Tor, mit Kaffeebechern in der Hand und im schwarzen St.-Pauli-Rugby-Pulli. Wer zu spät kommt, schuldet der Mannschaft für jede Minute einen Snack. Doch heute taucht auch die Letzte noch pünktlich auf.

Wir sind stärker und fitter – beim nächsten Mal machen wir sie platt

Kapitänin Martina Lenton

Drei Stunden geht es mit St.- Pauli-Bussen nach Münster. „Das ist noch relativ nah dran“, sagt Lenton. Das Team spielt in der Frauenbundesliga B, der zweiten Liga mit sieben Teams. Im Extremfall geht es bis nach Heidelberg.

Lenton spielt seit zwölf Jahren bei St. Pauli Rugby, seit drei Jahren ist sie Kapitänin. Sie war bereits Teil des alten 15er-Teams. Das wurde 1989 gegründet. Seitdem kam St. Pauli 15-mal ins Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. Achtmal wurden sie Deutsche Meisterinnen. Und mehr als 20 Spielerinnen schafften es in die Nationalmannschaft. Die Erfolgsgeschichte baue einen gewissen Druck auf, sagt die Kapitänin.

Stollenkon­trolle: Die St.-Pauli-Spielerinnen vor dem Spiel in der Kabine Foto: Svenja Michel

Für das Spiel wünscht sie sich, dass alle umsetzen, was trainiert wurde, und kein Chaos auf dem Feld entsteht. Niemand soll aufgeben, wenn es hart wird.

Im Bus läuft laute Musik, die Frauen singen mit und machen einander Zöpfe, damit die langen Haare im Spiel nicht stören. Lenton holt eine Brotdose mit Nudeln hervor. „Die sind noch von der Pastaparty übrig“, sagt sie. Es ist eine Tradition des Frauenteams, am Abend vor dem Spiel gemeinsam Pasta zu essen.

Ein Armband für Jede

Bevor die Mannschaft auf den Platz geht, treffen sich alle in der Umkleidekabine. Der Trainer bespricht letzte Spielsituationen und vergibt die Trikots. Dann wird es emotional: Kapitänin Lenton hat für alle Spie­le­rin­nen Armbänder gebastelt – mit braun-weißen Perlen und den Buchstaben FC SP XV. Damit führt sie eine neue Tradition ein: Jede Spielerin soll beim ersten 15er-Spiel ein solches Armband bekommen. Bei einigen fließen Tränen.

Dann geht es aufs Feld – die Spie­le­rin­nen wärmen sich auf. Um 14 Uhr geht das Spiel los und das mitten in der prallen Sonne bei 28 Grad. Schon nach wenigen Minuten erzielt Münster die ersten Punkte. Die St.-Pauli-Frauen lassen sich davon nicht stressen und schaffen es lange, keine weiteren Punkte zuzulassen. Erst zum Ende hin gelingt es den Geg­ne­rin­nen wieder und das Spiel endet 29:0 für die Rugby Rackoons.

Die Spielerinnen sind frustriert, aber zufrieden. „Ich bin unfassbar stolz auf uns“, sagt Kapitänin Lenton. Fünfzig Prozent der Spielerinnen seien in Schlüsselpositionen gewesen, die sie noch nie gespielt haben. Das Team wird jetzt weiter üben, jede Woche, und aus den taktischen Fehlern lernen. „Wir sind stärker und fitter – beim nächsten Mal machen wir sie platt.“

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