■ Srebrenica, eine belagerte Stadt voller Symbolkraft: Vor dem Fall
Gleichgültig war sie nicht, die Weltöffentlichkeit. Das Schicksal der über 60.000 Menschen in der von serbischen Truppen und Freischärlern bedrängten Enklave Srebrenica hat viele sogar berührt. Die Vorstellung, mitten in Europa würden Menschen verhungern, weil die wildgewordene serbische Soldateska die dort lebende Bevölkerung mit allen Mitteln aus ihrer Heimat vertreiben will, hatte sogar den hartgesottenen Soldaten und ehemaligen Freund Serbiens und Befehlshaber der UNO-Truppen in Bosnien, Morillon, zum Umdenken bewegt.
Doch das Mitleiden vieler und das Umdenken einzelner führte bisher zu keiner grundsätzlichen Neubestimmung der Politik der Vereinten Nationen. Der öffentliche Druck, obwohl stärker werdend, reichte bislang nicht aus, die Politik der humanitären Hilfe in eine Politik der konkreten und wirksamen Unterstützung für die Bedrängten umzuwandeln. Wenn sich die Hilfe auf die Evakuierung der Bevölkerung reduziert, dann wird, ob gewollt oder nicht, der serbischen Politik der Vertreibung Vorschub geleistet. Dann wird diese Beihilfe zur „ethnischen Säuberung“ noch zum humanen Werk erklärt.
Bisher ist auch das Säbelrasseln aus Washington zu leise geraten. Die Flüge zur Luftüberwachung mögen zwar ein Zeichen sein, aber militärisch haben sie bisher nichts ausgerichtet. Daß die serbische Seite beharrlich nach der Verwirklichung eines ethnisch reinen Großserbiens strebt – Srebrenica scheint da nur ein strategisch wichtiger Baustein – ist keiner der einwirkenden ausländischen Mächte verborgen geblieben. Und daß die kroatische Politik in ihrer Kurzsichtigkeit dem bosnischen Bündnispartner einen Krieg im Kriege aufzwingt, der den serbischen Interessen nur entgegenkommt, wird ohne großes Aufsehen hingenommen.
Leider wird in der deutschen Öffentlichkeit kaum bemerkt, daß die Bildung eines Groß-Serbiens vor allem in Frankreich und Großbritannien keineswegs auf Ablehnung stößt, wird dort doch der größer werdende Einfluß Deutschlands in Osteuropa mit Argwohn betrachtet. Wer erinnert sich nicht an die Aktion Mitterrands in Sarajevo, dem es vor fast einem Jahr gelang, die Unterstützung für die eingeschlossene Stadt in „humanitäre Hilfe“ umzubiegen? Und obwohl der weltpolitische Gedanke, Jelzin und damit dem „demokratischen“ Rußland zu helfen, der Clinton-Administration zur Ehre gereicht, wird doch übersehen, daß es Belgrad in großem Umfang gelungen ist, die russische Politik auf sich zu verpflichten.
Wer aber die serbische kommunistisch-faschistische Koalition gewähren läßt, wird das Erstarken dieser politischen Konstellation in Rußland auch mit verstärkter Wirtschaftshilfe nicht verhindern können. Es könnte umgekehrt sogar richtiger sein, diesen Kräften beizeiten ihre Grenzen aufzuzeigen. Srebrenica jedenfalls bedeutet viel mehr als nur den Fall einer bosnischen Enklave. Erich Rathfelder
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