Sprechen Sie Maya?

Eierkartons als Schallschutz und Programm auf Kassetten: Unabhängiges Radio ist kein Zuckerschlecken, schon gar nicht im Dschungel Guatemalas

von KATJA BIGALKE

Mit Eierkartons und Styropor haben Maria, Betty und Joni das 12 Quadratmeter große Produktionsstudio in der 16. Avenida in Quetzaltenango gegen Schall isoliert. Auf dem Tisch der spärlichen Einzimmerwohnung: zwei Kassettenrekorder, ein CD-Spieler und ein Computer. An der Wand: ein Bord mit ein paar Kassetten guatemaltekischer Marimbamusik und 20 CDs.

Hier entstehen die Programme von Mujb’ab’l Yol, des größten unabhängigen Lokalradios Guatemalas. Des größten deshalb, weil Mujb’ab’l Yol im Gegensatz zu den anderen 52 Radios Communitarios über das übliche Dreißig-Quadratkilometer-Sendegebiet hinaus zu empfangen ist. Mit den überspielten Programmkassetten von Mujb’ab’l Yol im Gepäck reisen die Mitarbeiter zu den verschiedenen Lokalradiostationen des Landes. Da die Programme nicht tagesaktuell sind, macht es auch nichts, wenn die Busfahrt von der Stadt im guatemaltekischen Hochland zur Urwaldstadt Flores mal zwei Tage dauert.

So groß das Sendegebiet, so klein ist der Sender. Für das täglich fünfstündige Programm sind nur acht Mitarbeiter verantwortlich: sechs Indígenas, ein Deutscher und eine Amerikanerin. Eine Redaktion ohne Hierarchien, ein Radiosender ohne feste Sendezeiten, ein Tonstudio mit Kassetten vom Wochenmarkt als Tonträger und einem Schnittprogramm, das aus der Stopp- und Fast-Forward-Taste des Kassettenrecorders besteht.

Mujb’ab’l Yol gibt es seit Oktober 1998. Die kleine Radiostation gilt als Nachfolgerin der Voz Popular, des wichtigsten Sprachrohrs der Indígenas während des guatemaltekischen Bürgerkriegs zwischen 1954 und 1996. Mit dem 1996 abgeschlossenen Friedensabkommen zwischen der Regierung Arzu und der URNG, der guatemaltekischen Guerilla, wurde ein Gesetz über lokale Medien und Massenkommunikation verabschiedet. Bisher illegal sendende Lokalradios der indigenen Bevölkerung wurden legalisiert, fünf Dachverbände lokaler Radios mit Unterstützung der UN-Beobachtergruppe Minugua eingerichtet.

Die Radios Communitarios sollten das staatliche und kommerzielle Radioprogramm ergänzen, in dem sich die Indígenas nur wenig vertreten fühlten. Thematisch liegt der Schwerpunkt daher auf sozialen Themen, die für die Indígenas besonders relevant sind.

Gesundheit und Aufklärungsarbeit, Frauenrechte, Probleme von Straßenkindern, guatemaltekische Geschichte, Alphabetisierungskampagnen, Gewalt in Familien oder Fragen der Landverteilung stehen im Vordergrund. Zwischen den 15- bis 45-minütigen Programmen wird Musik gespielt und stündlich gibt es internationale Nachrichten, die die Redakteure im Internetcafé abrufen oder von der Tagespresse übernehmen. Im Gegensatz zu den 91 staatlichen und kommerziellen Radiosendern, die nur in Spanisch senden, ist Mujb’ab’l Yol dreisprachig: Neben Spanisch wird auch in K’iche’ und Mam gesendet, den zwei größten Mayasprachen, die in der Umgebung von Quetzaltenango gesprochen werden.

Eine Stunde Bericht mit Originaltönen und Sprechertext in Spanisch, dann zwei übersetzte Versionen desselben Beitrags bilden das Programm. Hier hört man nur noch Julianas Stimme. Denn die ehemalige Sprecherin der Voz Popular spricht beides, den Sprechertext und den Text des Interviewpartners, egal ob männlich oder weiblich. Beim männlichen Part verstellt sie einfach die Stimme. Mehrsprachigkeit ist nun mal wichtiger als Perfektion. Sechzig Prozent der Bevölkerung Guatemalas sind Indígenas, die oft nur eine der 21 Mayasprachen sprechen. Die offizielle Amtssprache Spanisch wird nur von 64 Prozent der Bevölkerung gesprochen. Und angesichts einer Analphabetenrate von 40 Prozent ergibt sich die Bedeutung der Radios Communitarios von selbst.

Seit Januar 2001 sendet Mujb’ab’l Yol aber nicht mehr. Die 60 Pfennig pro Minute Sendezeit kann sich der kleine Sender nicht mehr leisten. Das Diktiergerät, mit dem die Redakteure sonst ihre Interviews aufzeichnen, bleibt ungebraucht. Und die Redakteure? Hendrik Hamme ist einer von ihnen. Zurzeit fährt er in Deutschland von einer Solidaritätsveranstaltung zur nächsten und wirbt für Mujb’ab’l Yol. Denn ohne Geld ist auch das einfachste Radioprogramm nicht zu machen.

Spendenkonto Lateinamerika,Konto: 3 11 75 03, BLZ: 100 205 00,Bank für Sozialwirtschaft,Stichwort: „Guatemala Radioprojekt“