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Sprachwissenschaftler über Bekennerschreiben"Keine emotionale Komponente"

Nach dem Brandanschlag auf den Bahnhof Ostkreuz analysiert die Polizei mit kriminalistischer Sprachwissenschaft das linke Bekennerschreiben. Sprachprofiler Raimund Drommel hat es gelesen.

Die ausgebrannte Kabelbrücke am Bahnhof Ostkreuz Bild: dpa
Interview von Sebastian Fischer

taz: Herr Drommel, eine linksautonome Gruppe hat sich zu dem Anschlag auf den Bahnhof Ostkreuz bekannt. Halten Sie das Bekennerschreiben für authentisch?

Raimund Drommel: Ich halte es nach erster Durchsicht für absolut authentisch. Textaufbau, Sprache und Inhalt sind typisch und passen genau.

Was sagt das Schreiben über den oder die Autoren aus?

Im Interview: 

Raimund Drommel, Jahrgang 1946, ist Sprachprofiler. Er untersucht seit mehr als 25 Jahren als Sachverständiger und Sicherheitsberater für Polizeien und Landeskriminalämter Schriftstücke auf unverwechselbare Besonderheiten.

Der Bekenner ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit männlich, wahrscheinlich zwischen 20 und 30 Jahre alt und hat einen hohen Bildungsgrad. Abitur ist wahrscheinlich, Studium möglich. Er stammt offenbar aus einem gutbürgerlichen sozialen Milieu, hat auf keinen Fall einen Hartz-IV-Hintergrund. Themen wie Arbeitslosigkeit und Mindestlohn wurden in dem Schreiben gar nicht angesprochen. Die verbale Intelligenz des Autors setze ich ebenfalls hoch an. Er schreibt, die Gefährdung von Menschen "nach bestem Wissen ausgeschlossen" zu haben. Er hat bewusst die Formulierung "nach bestem Wissen und Gewissen" vermieden, um die staatskonforme Variante zu umgehen.

Woran erkennen Sie, dass der Täter männlich ist?

Ich versuche, durch den Text auf den Autor zu schließen. Was ist sein Motiv, seine Motivation? Das Hauptindiz ist, dass die emotionale Komponente ausgeschaltet ist.

Wie geht die Polizei jetzt vor?

Es gibt im Internet über 400 Kommentare und Beiträge zu dem Bekennerschreiben. Es besteht die Möglichkeit, dass sich dessen Verfasser im Netz noch mal anonym äußert. Der Staatsschutz wird nun nachschauen, ob der Autor an diesen Stellen noch mal mit sprachlichen oder argumentativen Parallelen in Erscheinung tritt. Dann wird der Staatsschutz das Schreiben auch noch mit nichtanonymem Material aus der linken Szene abgleichen. INTERVIEW: SEBASTIAN FISCHER

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7 Kommentare

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  • ST
    Sebastian Thürrschmidt

    @xorgldf: Danke für Ihre Analyse, die, zuhöchst ungewöhnlich für einen Leserkommentar hier oder irgendwo sonst, hundertmal mehr Einsichten birgt als der Artikel selbst. Würden Sie es nach allem sogar für möglich halten, daß hier ein wutentbrannter Einzeltäter aus der extremen Sarrazin-Ecke allem, was links und darum ihm verhaßt ist, ein möglichst dickes Ei ins Nest legen wollte?

  • N
    NaBoHi

    Wenn es möglich ist, die Authentizität des Bekennerschreibens zu beurteilen, ist es dann nicht auch möglich, einem falschen Bekennerschreiben Authentizität zu verleihen?

  • P
    Parallel

    "Der Staatsschutz wird nun nachschauen, ob der Autor an diesen Stellen noch mal mit sprachlichen oder argumentativen Parallelen in Erscheinung tritt. Dann wird der Staatsschutz das Schreiben auch noch mit nichtanonymem Material aus der linken Szene abgleichen."

     

    Und dann wird wieder irgendein armer Sozialwissenschaftler verhaftet, der sich zufällig zum selben Thema geäußert hat?

  • H
    Hugo

    Wenn dieser "Sprachwissenschaftler" ein keiner seines Faches ist, dann bin ich der Fürst von Hohenzollern! Weil "er" einen hohen Bildungsgrad hat und die Themen Hartz4 und Mindestlohn nicht anspricht, muss "er" aus gutbürgerlichem Hause stammen. Nur was hat ein Anschlag auf die DB auch schon mit Mindestlohn und Hartz4 zu tun? "Er" wäre schließlich blöd wenn er das alles einfach in einen Topf werfen würde! Und überhaupt seit wann muss man einen Hartz4 Hintergrund haben um sich dagegen auszusprechen? Aber aufgrund solcher "Sprechwissenschaftler" kann sich "Er" getrost zurücklehnen, da die Polizei ihn nie finden wird (Zumindest nicht anhand des Bekennerschreibens).

  • X
    xorgldf

    Das Schreiben ist wirr und unstrukturiert. Schon die Einleitung "Wir streiken!" ist in einem mutmaßlich "linksradikalen" Zusammenhang sonderlich. Streik mag für den durchschnittlichen Beamten nach Aufruhr, Gefahr und "alles kaputtmachen" klingen, ist doch aber tatsächlich ein Mittel des Arbeitskampfes. Und was möchte(n) der/ die Autor_in_nen bestreiken? "Die Normalität", wie wir später erfahren. Das Motiv zieht sich durch das gesamte Schreiben.

     

    Die Verwendung des Streikmotivs in dieser Form klingt nach einem schulischen Hintergrund. Eine für Linke eher typische Beschwörung von Arbeiterbewegung/ Klassenkampf, die man im Streik-Zusammenhang vielleicht erwarten würde, gibt es nicht, obwohl später im Text die "herrschende Klasse" erwähnt wird. Im Gegenteil wird mit Neusprechvokabular gearbeitet: "Sollen die Arbeitgeber ruhig auf uns warten". "Arbeitnehmer" und "Arbeitgeber" sind keine Konstrukte, die man in einer "linksradikalen" Schrift erwarten würde. Hier drängt sich der Eindruck eines Beamten auf, der versucht, sich in einen "linksradikalen" Schreiber hineinzuversetzen und kläglich scheitert.

     

    Herr Drommel findet "Textaufbau, Sprache und Inhalt […] typisch". Tatsächlich aber fehlt dem Text "linksradikales" Theoriegeschwurbel, das Durcheinander von einzelnen Sätzen zu allen Themen, die dem/ der/ den Autor_in_nen gerade als vermeintlich "links" eingefallen sind, wirkt konfus. "Du hast Gentrifizierung vergessen!" möchte man rufen.

     

    Sprachlich wird gelegentlich in die "Bildzeitungs"-Schublade gegriffen:

     

    "Wir haben die Schnauze voll!"

     

    "Nach all den Katastrophen haben wir die Schnauze voll."

     

    "Leiharbeiter" werden "verheizt". Außerdem werden passive Konstruktionen verwendet, wo man kämpferische Aktion erwarten würde:

     

    "Diese Technologie ist abzuschalten. Durch alle, die nicht mehr bereit sind, sich den Profitinteressen der Energiekonzerne zu opfern. Sofort."

     

    "Das wird zum Aufstand führen!"

     

    "Sie müssen verändert werden. Sofort. Durch alle, die die Schnauze voll haben."

     

    Kein "wir werden…", sondern andere ("alle, die…") sollen etwas ändern. Passive Bedrohungsszenarien, die an "Terror"warnungen von Politikern erinnern. Und ein schüchternes "Warum nicht die Arbeit der Energiekonzerne stören?"

     

    Das Schreiben ist keine Produktion von politisch geschulten "Linksradikalen" und klingt nicht nach "Szenesprache". Das sprachliche Niveau mag sich zumeist oberhalb dem der "Bild" befinden, der Text ist aber weder schlüssig, noch intelligent strukturiert. Es wird nicht "gegendert" ("Leiharbeiter").

     

    Meine Vermutung: Entweder ein/ mehrere Schüler_in_nen der Oberstufe oder vielleicht Studienanfänger_in_nen, ohne ernsthaften Hintergrund im "linksradikalen" Milieu. Oder aber ein Schreibtischtäter, der versucht, ein "linksradikales" Schreiben zu imitieren. Die sofort nach dem Brand entstandene Idee, das Ganze als "Terroranschlag" zu werten, nährt diese Vermutung. Zur Umsetzung von Forderungen nach schärferen "Terrorgesetzen" braucht es eben auch eine "Terrorgefahr" im Land. Da die nicht wirklich gegeben ist, muss sie künstlich erschaffen werden.

  • H
    @ha,ha,ha

    Das hat mit Sprachwissenschaft nichts zu tun sondern ist eine Frage der politischen Theorie. Sprachwissenschaftler haben besseres zu tun als besserwisserische Wortklaubereien.

  • HH
    ha, ha, ha

    Wenn der Herr ein Sprachwissenschaftler wäre, würde er direkt ihre erste Frage anders beantworten: "'Linksautonome' ist ein Widerspruch in sich, weil die Autonomia eine linksradikale Arbeiterbewegung ist. Der Begriff 'Linksautonome' dient einzig und allein dazu Linke und Rechte gleichzusetzen und damit Naziterror und Naziherrschaft zu relativieren und zu verharmlosen und genau deshalb wurde er auch von staatstragenden Medien erfunden; phantasielose Rechtsradikale folgten Jahre später diesem Beispiel und liessen sich quasi von der Presse erfinden."