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Archiv-Artikel

Sprachmüll auf der Kippe

Sanft, zärtlich, nüchtern: Bei Samuel Becketts „Warten auf Godot“ im Stadttheater Bremerhaven sind zwei Anti-Helden unterwegs, die eigenartig gut zu Fischtown passen

Worauf warten sie? Auf welche Art von Rettung? Auf die Erlösung wovon? Wladimir und Estragon warten seit 50 Jahren, seit dem 5. Januar 1953, als sie in einem kleinen Pariser Theater zum ersten Mal auf der Bühne standen. Seitdem haben sie auf fast allen Bühnen der Welt gewartet, sie sind das berühmteste Theater-Männerpaar des 20. Jahrhunderts geworden. Samuel Becketts “Warten auf Godot“ ist mehr als ein moderner Klassiker, das Stück ist längst ein Mythos.

Wer es heute inszeniert, muss Respekt und gleichzeitig Respektlosigkeit aufbringen für die beiden Landstreicher, die nicht voneinander los können, die nicht von der Stelle kommen und von “Godot“ nur den Boten erblicken, einen Jungen, der ihnen mitteilt, dass Godot heute Abend nicht komme.

Der junge Gastregisseur Malte Kreutzfeldt hat den Mut, die legendären Figuren auf die Bühne zu stellen, ohne in Ehrfurcht zu erstarren. Mehr noch: Er nutzt die Bühne des Kleinen Hauses des Stadttheaters Bremerhaven, eines stets von Schließung bedrohten Raumes, der seit den 50er Jahren kaum verändert wurde, und er macht die verzweifelte Armseligkeit der bis auf die Brandmauern nackten Bühne zum Spiegel der beiden Wartenden.

Wladimir und Estragon sind Clowns: Ihre Bewegungen sind slapstickartig verspielt und ihre Gespräche können Tempo annehmen und plötzlich abbrechen. Die Regie kitzelt aus ihrem Wortwechsel um Gott und die Welt allen Witz und alle Leichtigkeit heraus. Die beiden Darsteller ergänzen sich bestens: Roberto Widmer kehrt mit unterschwelliger Ironie und Ungeduld den Älteren und Weiseren heraus, Guido Fuchs schwankt souverän zwischen trockenem Humor und Wehleidigkeit: Schnell kommen ihm die Tränen und er fällt dem Partner in die Arme.

Regisseur Kreutzfeldt forciert ihr lebendiges, körperbetontes Spiel, aber er setzt auch deutliche Pausen, lässt die Clowns innehalten und warten. Statt Godot kommen Pozzo und Lucky. Der Herr und sein Knecht fallen wie Marionetten, die ins Spiel geworfen werden, am schweren Seil von oben auf die Bühne herab. Bernd Stichler gibt Pozzo als einen Herrn, der die Peitsche nicht mehr zu benutzen wagt. Knecht Lucky ist ein Frankenstein-Monster, ebenso traurig wie gefährlich, Ulrich Gall macht daraus eine erschreckende, keine komische Figur. Und wenn Pozzo ruft: „Denke, Schwein!“, steigert Lucky seinen Vortrag aus Sprachmüll bis zum unerträglichen Gebrüll, das bis hart an die Grenze zum Umkippen der Inszenierung führt.

Trotzdem: „Warten auf Godot“ in Bremerhaven ist eine der sehenswertesten Inszenierungen, die das Stadttheater in den letzten Jahren vorgestellt hat. Vielleicht passen die beiden brüderlichen Anti-Helden mit ihrer Sanftheit und ihrer Zärtlichkeit und ihrem nüchternen Humor so gut wie wenig andere Bühnenfiguren zu dieser Stadt.

Hans Happel

nächste Vorstellungen im Februar: 7., 13., 19., jeweils um 20 Uhr