Sportvereine und Migrantion: Die Integrationsbeauftragten
Sportclubs spielen bei der Eingliederung von Zuwanderern eine wichtige Rolle. Ihnen werden dabei immer mehr gesellschaftliche Aufgaben übertragen.
Manchmal beschleicht selbst die deutschen Sportfunktionäre das Gefühl, ob das nicht alles ein wenig zu viel ist, was man den Sportvereinen da zumutet. Beinahe kleinlaut besinnt man sich dann doch noch auf die eigentliche Aufgabe. "Unser Zweck ist es, Sport anzubieten", betonte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Thomas Bach, auf einer Tagung Ende September in Berlin.
"Sport anbieten." Reichlich unspektakulär klingt das. Deshalb hört man das wohl nur noch so selten, selbst bei Sportfunktionären. Der gute alte deutsche Sportverein ist in ein politisches Fahrwasser gerutscht. Der Titel der besagten Tagung spricht Bände: "Zivilgesellschaft und Sport: Soziales Kapital und Integration - Tagung zum 2. Freiwilligensurvey". Es ging um das, neben Doping, derzeit wichtigste Arbeitsfeld des Sports - um Integration und Sport, besser: um Integration durch Sport.
"Spätestens seit den Vorstadtunruhen in Paris vor zwei Jahren ist das Thema auch bei uns ganz oben gelandet", erklärt die Direktorin für Sportentwicklung des DOSB, Karin Fehres. Wer seitdem beim Thema "Integration durch Sport" gut zuhört, der vernimmt plötzlich Begrifflichkeiten wie Vernetzung, Prozesshaftigkeit, Verstetigung, Moduldenken, Evaluierung und viele andere mehr. Von Sport treiben ist nur noch wenig die Rede. Und irgendwohin zwischen all das gerutscht, so scheint es, sind die gut 90.000 Sportvereine mit ihren 20 Millionen Mitgliedern.
Dass es für sie längst nicht mehr ausreicht, in ihrer Nachbarschaft nur organisierte Bewegung anzubieten, haben die Klubs bereits in den Neunzigerjahren erkannt. Im Wettbewerb mit den Fitnessstudios zogen die Vereine, oft mit dem Image des staubigen Turnvereins behaftet, den Kürzeren. Doch nun, nachdem sie sich jahrelang mit den Thema Gesundheitssport abgeplagt haben, scheinen sie durch das Dauerthema Integration wieder in den Fokus des Interesses zu rücken. Dieser politische Imagetransfer sichert den Vereinen nicht weniger als "ihre eigene Zukunftsfähigkeit", wie Karin Fehres, betont.
Sportvereine werden aufgrund der negativen demografischen Entwicklung zwangsläufig Mitgliederverluste hinnehmen müssen. Es sei denn, sie gewinnen vermehrt Migranten dafür, bei ihnen mitzumachen. Das finden alle gut und wichtig, die Sportvereine und die Politik sowieso. Und ganz nebenbei spült es dem deutschen Sport auch noch öffentliche Mittel in die Kassen. Mit 5,4 Millionen Euro alimentiert die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Maria Böhmer, das DOSB-Projekt "Integration durch Sport". "Mit dem Thema wurden aber überall hohe Erwartungen geweckt. Dafür reichen diese Finanzmittel kaum aus", erklärt Fehres. Die Anzahl der Anträge aus den Landessportbünden übersteige die Kapazitäten des Budgets doch um einiges.
Immerhin scheinen die Sportvereine das Thema Integration für sich entdeckt zu haben. Doch wissen sie, was damit eigentlich auf sie zukommt? "Natürlich reicht es nicht aus, einen Ball in die Mitte zu werfen und zu sagen: 'Nun macht ihr Deutschen mal mit den Ausländern zusammen Sport' ", sagt Martin Wonik, Referatsleiter der Sportjugend Nordrhein-Westfalen und dort für den Arbeitsbereich Integration zuständig. Wonik und seine engagierten Mitstreiter wissen zu gut, dass die Ausgrenzung von Migranten beziehungsweise ihre mangelnde Integrationsbereitschaft sich kaum durch einen gemeinsamen Sporttag nachhaltig ändern lässt. Während bei den Männern und männlichen Jugendlichen der Anteil der Migranten in den Sportvereinen dem Anteil an der Bevölkerung entspricht, ist die Zahl vorwiegend bei den muslimischen Mädchen und Frauen geradezu erschreckend gering. Weniger als zehn Prozent von ihnen sind in Sportvereinen organisiert, so wird geschätzt. "Wir wollen, dass sich in zehn bis 15 Jahren der Anteil der Migranten in der Gesellschaft im Organisationsgrad der Sportvereine widerspiegelt", erklären Fehres und Wonik gleichermaßen. 2020 sollen vierzig Prozent der in Sportvereinen organisierten Menschen über einen Migrationshintergrund verfügen.
Doch mit Sport alleine lassen sich die Migranten nicht in die Vereine locken. Wohl auch deshalb werden die Sportklubs von der Politik mit Aufgaben, die sie zeitgemäßer machen sollen, regelrecht überschüttet. Sie sollen Sprachkurse anbieten, Möglichkeiten der Berufsausbildung ("Bildung und Beschäftigung"), Demokratie- und Kulturtechniken vermitteln. Sie sollen Migranten zu Übungsleitern ausbilden und sie für die Vorstandsarbeit gewinnen. Das alles neben der Organisation eines modernen Sportangebots. Doch selbst das reicht noch nicht aus. Neuestes Zauberwort ist die "intersektionale Netzwerkarbeit". Diese Vokabel jedenfalls wurde auf der Berliner Tagung "Zivilgesellschaft und Sport: Soziales Kapital und Integration" von Hartwig Stock, Ministerialrat im Bundesministerium des Inneren, und anderen immer wieder bemüht. Dahinter verbirgt sich die Zusammenarbeit der Sportvereine mit Organisationen, die sich in Sachen Integration engagieren. "Wir müssen auf kommunaler Ebene mit Kirchen, Volkshochschulen, der Polizei und den Jugendheimen zusammenarbeiten", erklärt Martin Wonik vom Landessportbund NRW.
Die Öffnung der Sportvereine über ihren einst eng gefassten Horizont des Sporttreibens hinaus verlangt den Klubs einiges ab, personell wie inhaltlich. Es scheint fast, als sei der Sportverein in seine eigene Modernisierungsfalle getappt. Nun muss er beweisen, dass er all die Versprechungen seiner sozialpolitischen Kompetenz auch einlösen kann.
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