Sportrechte bei den Öffentlich-Rechtlichen: Wer nichts mehr zu verlieren hat
Live-Sportrechte gehen gerade immer mehr an private Anbieter. ARD und ZDF mögen das schlimm finden, dabei ist es eine große Chance für sie.
Champions League. Die zwei Worte stehen am Anfang der Einladung, die das ZDF verschickt hatte. Berlin, Unter den Linden, im Zollernhof, wo sonst beim „ZDF-Morgenmagazin“ Frühaufgestandene um runde Tische sitzen und Moderatorinnen und Moderatoren beklatschen, die noch früher aufgestanden sind als das Publikum, will Thomas Fuhrmann ein paar Journalisten in einem kleinen Konferenzraum im Seitenflügel empfangen.
An diesem Tag im April ist Fuhrmann seit fast 100 Tagen als Sportchef des ZDF im Amt. Eigentlich wollte er dieses Fast-Minijubiläum nutzen, um zu erzählen, wie es weitergeht mit der Champions League im Zweiten. Deshalb die Einladung. Das Problem: Fuhrmann kann nicht.
Denn der europäische Fußballverband Uefa und sein Rechtevermarkter namens Team haben sich noch nicht entschieden oder sie haben es nur noch nicht verkündet, wer ab 2018 in Deutschland die Champions League zeigen darf.
Dabei ist die Frist zur Abgabe von Angeboten bereits am 3. April abgelaufen. Das ZDF hat auch eine Offerte eingereicht, mit der der Sender „bis an die Schmerzgrenze“ gegangen sei, sagt Fuhrmann. Doch was dem einen Schmerzen bereitet, juckt den anderen zuweilen kein bisschen. Die Uefa lässt sich jedenfalls viel Zeit. Aber bis zum Champions-League-Finale wird man mehr wissen. Da ist sich Fuhrmann sicher.
Cardiff, Millennium Stadium, 3. Juni. Real Madrids Sergio Ramos stemmt den Champions-League-Pokal in die Höhe. Viele der 65.842 Zuschauer werden gleich die paar Meter zur St Mary Street schlendern und sich ein paar Pints genehmigen. Das Finale ist durch. Und Thomas Fuhrmann weiß immer noch nicht mehr.
Die Uefa hat sich immer noch nicht offiziell geäußert. Doch es wird immer klarer, dass die Zeichen auf Trennung stehen. Warum sonst sollte der Fußballverband seinen langjährigen Vertragspartner so lange hinhalten?
Intern sollen die Redakteurinnen und Redakteure schon seit Wochen Bescheid wissen. Auch ZDF-Intendant Thomas Bellut hält es für „sehr wahrscheinlich“, dass die Rechte verloren gehen. Es wäre das Wunder von Mainz, wenn die Uefa doch noch dem ZDF den Zuschlag erteilen würde. Und so dürfte das Finale von Cardiff das vorletzte Champions-League-Endspiel bei dem öffentlich-rechtlichen Sender gewesen sein.
Kaum noch Sport beim ZDF
Während Fuhrmanns Vorgänger Dieter Gruschwitz noch Olympische Sommer- und Winterspiele, DFB-Pokal-Partien und die Qualifikationsspiele der Nationalelf zu besetzen hatte, muss Fuhrmann in seinen Dienstplänen auf all diese Ereignisse kaum noch Rücksicht nehmen. Denn die Liverechte an Olympia, DFB-Pokal und Quali hat das ZDF allesamt in den vergangenen Jahren verloren. Und nun ist wohl bald auch noch die Champions League futsch. Immerhin, bei Olympia und Quali-Spielen der Nationalmannschaft teilt sie das Schicksal mit der ARD.
Was bleibt ARD und ZDF da noch an reichweitenstarken Sportveranstaltungen? Die Fußball-Welt- und Europameisterschaften – immerhin. Der Wintersport – okay. Die Bundesligazusammenfassungen in „Sportschau“ oder „aktuellem sportstudio“ – wenn man am Samstagabend nichts anderes vorhat. Ein paar Freundschaftsspiele der Nationalmannschaft und der Confed Cup – da beginnt schon das Gähnen.
Gewonnen hat das ZDF zuletzt nur bei den Bundesligarechten. Es darf ab kommender Saison drei Spiele live zeigen, dazu den Supercup und die Relegation von der Dritten zur Zweiten Liga. Überboten hat das ZDF dabei übrigens: die ARD.
Seitdem alle – Fernsehsender, Internetprovider, Pay-TV-Plattformen, Online-Videotheken, Internet-Großkonzerne – um Inhalte kämpfen, weil niemand nur noch Infrastrukturanbieter sein will, sind die großen Sportereignisse zum begehrtesten Gut auf dem Fernsehmarkt geworden.
Die Kosten für Live-TV-Rechte steigen: Während das ZDF 2012 die Rechte noch für 54 Millionen Euro bekommen haben soll, scheinen für die Jahre 2018 bis 2021 (unbestätigte) 70 Millionen Euro zu wenig zu sein – und das für nur ein Livespiel pro Europapokalwoche am Mittwochabend sowie das Finale. Ab 2018 sollen die Champions-League-Spiele – so lautet das hartnäckigste Gerücht – dann ganz aus dem Free-TV verschwinden und nur noch im Pay-TV bei DAZN und Sky zu sehen sein. Für geschätzte 200 Millionen Euro pro Saison.
In Großbritannien hat BT Sport kürzlich die Rechte für alle Spiele der Champions League gekauft: für rund 450 Millionen Euro pro Saison. Und alle warten noch gebannt darauf, dass irgendwann auch Google oder Amazon mal um die teuren Rechte mitbieten. Da geht also noch was. Nur nicht für ARD und ZDF. „Als öffentlich-rechtlicher Sender muss man gucken, was vertretbar ist“, sagt Fuhrmann.
Schlimm?
Ob die 70 Millionen Euro vertretbar sind, ist die eine Frage. Ob es überhaupt so schlimm ist, dass ARD und ZDF gerade reihenweise Sportrechte abgeben müssen, ist die andere. Denn auch wenn alle Verantwortlichen immer wieder versichern, wie wichtig es sei, dass der Sport im Fernsehen auch journalistisch und damit kritisch begleitet würde und dass dies nur die Öffentlich-Rechtlichen bieten könnten, hielt bei der WM in Brasilien dann doch Katrin Müller-Hohenstein mit Lukas Podolski die Beine in den Swimming Pool oder bei Olympia in Sotschi einen kleinen Plüschwolf in die Kamera, über dessen Namen die Zuschauer abstimmen sollten. Am Ende wurde es „Wotschi“, ein süßer und bestimmt auch ganz kritischer Wolf, der übrigens noch zu haben ist: für 54,90 Euro im ZDF-Shop.
Und im Ersten übermittelte Jürgen Bergener einen Dank „auch von der gesamten ARD“ an Torwart Manuel Neuer, der mit der Nationalmannschaft kurz zuvor im EM-Viertelfinale gegen Italien gewonnen hatte. Wenn das die kritische Begleitung der Großereignisse sein soll, dann braucht einem nicht bang werden, dass das private Anbieter nicht auch hinbekämen.
Überhaupt wäre es verlogen, nun zu jammern. Jahrelang wurde sich darüber aufgeregt, dass ARD und ZDF viel zu viel für Sportrechte ausgeben würden; dass es heuchlerisch sei, die Verbände zwar zu kritisieren und deren kriminelles Treiben aufzudecken, ihnen dann aber doch die Beitragseuros in den unersättlichen Magen zu pumpen. Wer für viel Geld Sportrechte einkauft, wer Werbeplätze vermarkten will, der macht sein Produkt nicht schlechter als unbedingt nötig, der ist halt immer auch Promoter – ob er will oder nicht.
Doch diese Rolle könnten ARD und ZDF abstreifen. Wenn sie wollten. Denn wer keine Rechte mehr zu verlieren hat, der hat nichts mehr zu verlieren. Und so könnten die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ihrem Selbstbild in Zukunft so nah wie noch nie kommen.
Mehr Zeit für Sportpolitik
Das sieht auch Fuhrmann, der vor seiner „Morgenmagazin“-Zeit beim ZDF schon bei „Frontal 21“, „Kennzeichen D“ und im Hauptstadtstudio arbeitete und sagt, dass er sich im Magazinjournalismus „durchaus zu Hause“ fühle und dass er „sportpolitische Themen stärker in den Fokus rücken“ möchte.
Noch hinkt das ZDF in diesem Bereich der ARD hinterher, wo sie Hajo Seppelt haben, der zuletzt mit mehreren Enthüllungen, das russische Dopingsystem betreffend, für Aufsehen sorgte.
„Wir versuchen, den Abstand zu verkürzen“, sagt Fuhrmann, „was nicht einfach ist.“ Die Kapazitäten – personell wie finanziell – dürfte er dafür haben. Die Sendestrecken habe er auch, im „aktuellen sportstudio“ zum Beispiel oder in der „Sportreportage“. Deswegen sieht er auch keinen Bedarf für ein eigenes investigatives Sportmagazin, wie es der WDR mit „sport inside“ ausstrahlt.
Vor dem Confed Cup in Russland zeigten sowohl ARD als auch ZDF Reportagen über Putins Spiele: Es ging um nordkoreanische Arbeiter auf den Stadionbaustellen, um Korruption, um die unsägliche Rolle der Fifa, kurzum: ums ganz dreckige Sportbusiness. Ab kommendem Wochenende laufen dann die Hochglanzbilder von ebenjenem Confed Cup, ausgetragen in ebenjenen Stadien, bei deren Bau so viel Geld versickert sein soll, veranstaltet von ebenjener Fifa, die . . . ach, Sie wissen schon, die Fifa halt. Das alles live und exklusiv bei ebenjener ARD und ebenjenem ZDF.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin