: Sportlich zu Tisch
Am Wochenende wurden in Hannover die Deutschen Meisterschaften im Tischfußball ausgetragen. Was die TeilnehmerInnen aber mehr bewegte als das Endspiel war die Frage: Wie steht es um die heiß begehrte Anerkennung des Krökelns als Sportart?
von Jörg Heynlein
Das Umschalten von Abwehr auf Angriff ging blitzschnell. Mit wenigen klugen Pässen durch die eng gestaffelten gegnerischen Reihen landete die Kugel in der Sturmreihe. Ein kurzes Verharren des Mittelläufers, jede Bewegung der gegnerischen Verteidigung und des Torwarts beobachtend. Zwei Übersteiger, eine pfeilschnelle Bewegung nach Außen, ein Präzisionsschuss am Verteidiger vorbei. Tor.
Doch keine Umarmung für den Schützen, keine jubelnde Spielertraube, da sich diese Spieler niemals werden berühren können. Eine Stange durchbohrt ihre Körper seitlich des Brustkorbs in Höhe der Arme, tritt auf der anderen Seite wieder aus und fixiert sie wie Grillhähnchen. Milde dreinblickend, mit einem Gesicht, das bei einigen Tisch-Herstellern an den jungen Alfred E. Neumann erinnert, ertragen sie in kerzengerader Haltung ihr Dasein. Wir sind beim Tischfußball, auch Kicker, norddeutsch Krökeln, schweizerisch Töggeli, österreichisch Wuzzel genannt.
Am Wochenende fand in Hannover die 1. Deutsche Garlando Tischfußball Meisterschaft statt, ausgerichtet vom DTFB (Deutscher Tischfußballbund), NTFV (Niedersächsischer Tischfussball-Verband) und dem KGB (Krökel-Gemeinschaft Badenstedt), Hannovers Team in der Tischfußball-Bundesliga. Namensgeber der Meisterschaft war der österreichische Tisch-Hersteller Garlando, der auch die Weltmeisterschaften Ende Juli in Österreich mit seinen Sportgeräten ausstattet.
Garlando? Hier liegt eines der Hauptprobleme, die dafür sorgen, dass Tischfußball noch nicht als Sportart anerkannt wird, erklären die KGB-Spieler Ruben Heinrich und Phillip Must. Fünf verschiedene Tisch-Hersteller sind beim Weltverband offiziell registriert und dürfen Deutsche Meisterschaften ausrichten. Eine in diesem Jahr vom DTFB neu geschaffene Rangliste ermittelt den deutschen Meister aller Klassen, indem sie die Ergebnisse der verschiedenen Meisterschaften nach einem Schlüssel bewertet und somit die Unterschiede der Tische und Regelwerke berücksichtigt.
Einheitlich ist in Hannover der Auftritt der roten und blauen Kunststoffkicker. Stets in gleicher Formation. Im 2-5-3-System halten Sie zwangsläufig die Position. Eine offensive Aufstellung, für die es in der Rasenvariante des Fußballs keine Entsprechung gibt. Als 1937 der erste Kickertisch patentiert wurde, sorgte gerade das italienische Spielsystem Metodo für Furore.
Die meisten Tischfussballer kommen zum ersten Mal gastronomisch mit dem Kicker in Berührung. Das lockere Kneipenimage des Krökelns ist ein Grund dafür, dass Tischfußball im Spitzensportbereich noch immer mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen hat.
Um dieses Image aufzupolieren, trainiert die Spitze des Sports täglich viele Stunden. Ziel sind Automatisierung der Bewegungsabläufe und die Schulung der Auge-Hand-Koordination. Die mit bis zu 50 Stundenkilometer abgefeuerten Schüsse der Besten, die Hochgeschwindigkeitsspielzüge sind für das ungeübte Auge nicht zu verfolgen. Trotzdem werden im US-Fernsehen einige Spiele live übertragen. Ähnlich wie beim Snooker, verfolgen bis zu sechs Kameras das Spiel und wiederholen in Zeitlupe, was dem Auge verborgen bleibt.
Das Equipment und die Rituale bei den deutschen Meisterschaften in Hannover weißen darauf hin, dass es hier kaum um ein bloßes Kneipenautomatenspiel geht. Raoule Lubida und Michael Rehfeld vom Team Spandau aus der NTFV-Liga wickeln wie fast alle Griffbänder um die Griffe und stülpen Fingerlinge darüber, um das Abrutschen der Hände bei extremen Schusstechniken zu verhindern. Die meisten tragen zusätzlich Handschuhe, um den Griff nach dem Schuss nicht mehr als 360 Grad zu drehen. Ein durch verbotenes Drehen erzieltes Tor wird nicht gewertet.
Bei Weltmeisterschaften wird an bis zu 200 Tischen gespielt, bei internationalen Turnierserien türmten sich gar Preisgelder von bis zu 250.000 US-Dollar. In Hannover waren die Preisgelder eher bescheiden. Es gab neben der Berechtigung zur Teilnahme an der WM in Österreich für die Deutschen Meister Ausschüttungen aus den eingenommenen Startgeldern für die Plätze zwei bis acht. Das Startgeld betrug 12 Euro. Im Doppel setzten sich Mathias Brockob aus Asendorf und Thomas Przdzink aus Passau durch, das Einzel gewann Michael Strauß aus Kiel. Der Turniersieg bedeutet für die drei: Sie fahren zur WM.
In rauchfreier Turnhallenatmosphäre standen 15 Tische wie übergroße flügellose Käfer im künstlichen Licht. Die gemäß DTFB-Spielordnung sportlich gekleideten Spieler krallen sich an die Griffe, um sich vor dem nächsten Anstoß kurz von ihnen zu lösen, die Muskulatur zu lockern und die Spannung neu aufzubauen. Die Einschläge der Schüsse, die gegen die Metallwände der Turniertische prallen, klingen wie Hagelschauer. In höchstem Maße konzentriert, den Blickkontakt zum Gegner vermeidend, mit zusammengepressten Lippen übt sich die Kicker-Elite in Konzentration.
Für die, die weiterkommen, gilt es, diesen Zustand über mehrere Stunden aufrecht zu halten und trotzdem nicht zu verkrampfen. Bei mehrtägigen Turnieren und mehreren Stunden Tischfußball schmerzt die Muskulatur, beschreibt der KGB-Mann Must. Kleine Schweißperlen verraten die Anspannung, geben Auskunft über die Betriebstemperatur im Krökel-Körper. Eindeutig eine Leibesübung, die ein hohes Maß Fitness erfordert. Ein Sport eben.
Eine Atmosphäre, ganz anders als im Roadmovie „Absolute Giganten“ mit der längsten Tischfußball-Sequenz der Filmgeschichte. Im schummerigen Keller einer Kneipe liefern sich die Hauptdarsteller ein achtminütiges Tischfußball-Duell mit der Kicker-Ikone Snake. Mit eisiger Miene hämmert Snake einen Ball nach dem anderen in den Kasten. Seine Gegner liegen innerhalb von Sekunden zurück, holen wieder auf und gewinnen zuletzt mit einem genialen Trick, für den zwei Weltklassespieler aus Deutschland als Double auftraten. Snake züngelt vor Zorn und verliert das Spiel. Das ist Krökeln. In diesem Fall halbseiden, verqualmt, laut.
Die Verbände arbeiten hart, die Vereinsspieler trainieren eisern. Einige kosmetische Eingriffe am Gesicht des Tischfußballs sind noch notwendig, doch einschneidend dürften sie nicht mehr sein. Vieles spricht für Tischfußball als Sport: Jugendarbeit, körperliche Beanspruchung, Teamgeist, Regeln und: Wettkampfbedingungen.