Sportförderung an Berliner Schule: Auf Erfolg getrimmt

Die Charlottenburger Poelchau-Oberschule ist Kaderschmiede für Sporttalente. Das Tagespensum ist hart, nur wenige Schüler werden letztlich wirklich Leistungssportler. Trotzdem ist der Andrang enorm.

Die Weltmeister von morgen? Was die Trikots angeht, fühlen sie sich heute schon so. Bild: dpa

Nur ein paar Turnschuhe stehen auf dem Bootssteg. "Haben wir einen unserer Stars im Wasser?", fragt Rüdiger Barney, der Rektor der Poelchau-Oberschule. Doch an diesem grauen Wintermorgen ist weit und breit niemand zu sehen.

In Barneys Gefolge befinden sich ein Trainer des Landesleistungszentrums Rudern und einige Schüler, die Boote zum Hohenzollernkanal schleppen. Es ist kurz nach neun Uhr. "Gut, sind ja alle hier", bemerkt Barney am Rande der Regattastrecke. Nichts anderes hat man von der Charlottenburger Schule erwartet, schließlich ist sie mit gleich zwei Gütesiegeln dekoriert: Als "Eliteschule des Sports" wurde sie 2006 vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) ausgezeichnet, "Eliteschule des Fußballs" darf sie sich laut Deutschem Fußball-Bund (DFB) seit November nennen. Eine Seltenheit: Es gibt in Deutschland 38 "Eliteschulen des Sports" und 20 "Eliteschulen des Fußballs". Mit beiden Prädikaten seien höchstens 5 Schulen ausgezeichnet worden, sagt Barney.

Er ist auf der Suche nach einem geeigneten Repräsentanten seiner Ausbildungsstätte. Für ihn kommen da nur die besten Sportler in Frage - das ist das Prinzip seiner Schule. Über die vier, fünf Auserlesenen, die pro Jahrgang letztlich Leistungssportler werden, definiert sie sich. Die Namen der Vorbilder hängen im Eingangsbereich an einem Brett aus. "Gestern Poelchau-Schüler, heute Fußballprofi". Darunter sind etwa Ashkan Dejagah, der beim VfL Wolfsburg spielt, und Patrick Ebert von Hertha BSC aufgelistet. Auch der Besitzer der Turnschuhe vom Bootssteg wird vorgestellt: Hagen Rothe wurde 2007 Juniorenweltmeister im Doppelzweier.

Bitte mit Biss

An diesem Morgen jedoch rudert der noch. So preist der Landestrainer dem Rektor andere Schüler an. "Das da ist noch ein 96er-Jahrgang", verweist er auf ein zwölfjähriges Talent, dessen muskulöser Körper ihn drei Jahre älter erscheinen lässt. "Oder der Kleine da hinten, eine echte Kämpfernatur. Den brauchst du nur richtig anschauen, dann ist der schon scharf." Begabung alleine reicht offensichtlich nicht aus: Die Kinder müssen auch den richtigen Biss mitbringen.

Die großen Erfolge, die die sportbetonte Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe vorzuweisen hat, sind jüngeren Datums. Besonders stolz ist man auf den 3. Platz im Medaillenspiegel aller deutschen Schulen bei "Jugend trainiert für Olympia 2007" und auf die Schulweltmeistertitel im Fußball der Jungen und im Tennis der Mädchen (beide auch 2007). Es sind die Früchte einer immer feinmaschigeren Selektion.

Ende der 90er-Jahre, erzählt Barney, habe man sich wegen der allgemein zurückgehenden Schülerzahlen bewusst für ein sportliches Profil entschieden. Die Umgebung bietet dafür eine nahezu perfekte Infrastruktur: In unmittelbarer Nähe sind die Sportanlagen in der Jungfernheide, auch das Olympiagelände ist gut zu erreichen. Anfangs saßen die sportlich Hochbegabten noch neben den "normalen" Schülern. Ein interessantes Modell, so Barney, wegen der vielen Reibungspunkte. Die einen fragten sich, warum sie weniger gefördert werden; die anderen, warum sie so viel leisten müssen.

Als man 2001 als vierte Berliner Schule den Titel "Sportoberschule" durch den Senat zuerkannt bekam, war dieses Modell nicht mehr zukunftsfähig. Doch dank Extrageld vom Land kann sie sich kleine Klassengrößen von 20 Schülern leisten, mehr Lehrer wurden eingestellt. "Wir müssen uns auf unser Kerngeschäft konzentrieren", sagt Barney und meint die Ausbildung von Leistungssportlern. Die Schülerzahl soll in den nächsten Jahren von 800 auf 600 sinken.

Die Eingangskriterien müssen also noch härter ausfallen. Schon jetzt wetteifern alljährlich 300 talentierte Fußballer darum, in die 7. Klasse eingeschult zu werden. Ohne Empfehlung des Fußballverbandes kommt keiner hierher. Auch Schüler, die eine der anderen neun angebotenen Sportarten belegen wollen, benötigen eine Empfehlung ihres Landessportverbandes. Jährlich überprüfen DOSB und DFB, ob die Oberschule ihre "Elite"-Titel behalten darf. Und je nach sportlichen Erfolgen zahlt der DOSB über einen Sponsor bis zu 8.000 Euro für neun Sportarten im Jahr. Der vermögende DFB überweist für den gleichen Zeitraum eine Pauschale von 30.000 Euro.

Mittlerweile ist Hagen Rothe, der Juniorenweltmeister, vom Training zurück. 19 Kilometer ist er gerudert; nun, um elf Uhr, fängt für ihn die Schule an. Am frühen Abend wird er wieder rudern. Nach Hause kommt er gegen 21 Uhr, dann muss er Hausaufgaben machen. Das ist sein Tagesablauf von Montag bis Freitag. "Von uns, der Elite, erwartet man Höchstleistung", kommentiert der 18-Jährige das Pensum. Sein Ziel? Nicht weniger als ein Olympiasieg. Halbe Sachen gibt es für ihn nicht. Kopfschüttelnd erzählt er, dass es an dieser "Eliteschule" Fußballer gebe, die sich mit einem Platz in der 2. Mannschaft zufrieden gäben.

Ist für Zwölfjährige ein solcher Druck förderlich? Rektor Barney sagt, man setze sich sehr bewusst mit diesem Aspekt auseinander. Er würde die Eltern stets fragen: "Wollen Sie das wirklich? Von nun an verändert sich das Leben Ihres Kindes grundlegend." Sie seien kaum noch zu Hause und müssten zudem die Doppelbelastung Schule und Leistungssport bewältigen. Die meisten Eltern wollten dann wissen, ob das nicht zu Lasten der schulischen Ausbildung gehe. Da kann Barney sie beruhigen. Die Schule hat nach der 10. Klasse nicht mehr Abgänge als andere zu verzeichnen; die Abiturnoten entsprechen dem Durchschnittswert der Berliner Schulen. Dass dies auch zustande kommt, weil die Schüler stets ihre Spezialsportart als Leistungskurs wählen, entwertet die Statistik laut Barney nicht.

Harter Alltag

Er betont, dass man gerade die Jungen anfangs sehr "betütteln" würde. Man achte auf feste Bezugspersonen und eine heimelige Klassenzimmeratmosphäre mit Blumen und Fischen. Einmal im Jahr gäbe es außerdem eine einwöchige Klassenfahrt, bei der der Sport völlig hintenanstehe. Wer aber mehr Zuwendung braucht, ist hier falsch.

Im Verlaufe einer Schulkarriere wird zweimal ausgesiebt: nach der 8. und nach der 10. Klasse. Die Schüler, die den sportlichen Ansprüchen nicht genügen, können bei guten Noten und einwandfreiem Sozialverhalten sich auf die Fachrichtung Sportmanagement spezialisieren. Der Rest muss die Schule verlassen. Barney schätzt, dass diese beiden Gruppen etwa 20 Prozent eines Jahrgangs ausmachen würden. Er nennt das die "Drop-out-Quote".

"Ja klar, das ist frühkindliche Auslese, was wir machen", sagt Barney offen. Der Sport habe eine gesellschaftliche Vorbildfunktion. Und die Mehrheit der Deutschen würde ja erwarten, dass ihre Landsleute möglichst viele Medaillen holen. Das rechtfertigt natürlich nicht jede Methode, so Barney. Den militärischen Drill der Chinesen lehnt er zum Beispiel ab. Eines aber hat ihm in China gefallen: die Abgeschiedenheit der dortigen Sportinternate. Er hält diese Art der klösterlichen Klausur für leistungsfördernd.

Ein solches Refugium soll mit Hilfe der Politik bald auf dem Olympiagelände realisiert werden. Am Adlerplatz in unmittelbarer Nähe zur Geschäftsstelle von Hertha BSC Berlin, dem engsten Kooperationspartner der Schule, will man 2010 in eines dieser kolossartigen Gebäude einziehen, die einst die Nazis fertigstellten. "Meinen Architekturgeschmack trifft das zwar nicht, aber diese dicken Mauern - das hat was", sagt Barney.

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