Sportereignisse blind erleben: Das Gefühl, den Ball zu sehen
Angebote für Blinde gibt es abseits vom Fußball nur selten. Goalball-Nationalspieler Stefan Hawranke nennt Möglichkeiten und Beschränkungen.
Stefan Hawranke steht auf der Tribüne der Future Arena. Der deutsche Goalball-Nationalspieler ist nahezu blind, er besitzt noch eine Sehkraft von ungefähr 2 Prozent. Und doch kann er zuschauen beim Halbfinale zwischen den USA und Brasilien. Der 31-Jährige zieht sein Smartphone aus der Hosentasche, hält das Display unmittelbar vor sein rechtes Auge, öffnet die Kamera-App und zoomt sich an das Geschehen heran.
Ungewöhnlich sah das damals aus bei den Paralympics in Rio de Janeiro. Die Frage drängte sich auf: Wie verfolgen Menschen mit einer Sehbehinderung Sportereignisse? Welche Hilfsmittel gibt es überhaupt?
Grundsätzlich müsse man unterscheiden. Möchte der Marburger seine Sportart, Goalball, verfolgen, so geht er in die Halle, setzt sich auf die Tribüne, packt sein Handy aus. „Die Spieler erkenne ich als größere Punkte“, sagt Hawranke, „in meinem Gehirn kann ich dann Bewegungsabläufe rekonstruieren.“ Zwischen den Sportlern zu unterscheiden ist für ihn aber nicht möglich. „Wenn ich erkennen kann, dass ein Spieler anläuft und wirft – dann habe ich das Gefühl, den Ball zu sehen.“ Es sei wie bei einem Foto: Erzählt man ihm, in welcher Umgebung es aufgenommen wurde, kann er einzelne Gegenstände schneller erkennen. So auch beim Goalball: Die Umgebung ist ihm vertraut, er weiß, was abläuft.
Ganz anders wird es, wenn Hawranke sein Umfeld verlässt, wenn er andere Sportarten live im Stadion verfolgen möchte. „Beim Fußball beispielsweise ist das Spielfeld auch viel zu weit von der Tribüne entfernt“, sagt er, „da geht echt fast gar nichts.“ Viele Menschen mit Sehbehinderung gingen dann hauptsächlich wegen der Stadionatmosphäre in die Arenen, so Hawranke.
Sehen ist beim Fußball also nicht möglich. So hat sich in der Ersten und Zweiten Fußball-Bundesliga eine andere Hilfestellung etabliert. Bei jedem Verein wird ein Kommentar extra für Menschen mit Sehbehinderung angeboten.
Hintergrund dunkel, Helligkeit runter, Kontrast rauf
Audiodeskription nennt man das im Fachjargon. Über Kopfhörer wird dem Zuschauer beschrieben, was genau auf dem Feld abgeht. Hertha BSC Berlin stellt die meisten Plätze (39) zur Verfügung. Für diese Menschen kommentiert Christoph Scholz, er ist vom Fanclub der OFC Sehbären. „Wir müssen sehr viel mehr sprechen als gewöhnliche TV-Kommentatoren, quasi ohne Pause“, sagt er, „unsere Beschreibungen sind viel detaillierter, es ist ein bisschen wie im Radio.“ Trikotfarbe, Spielzeit, Zuschauerränge, Trainergesten, Emotionen – all dies sei für ihre Zuhörer immens wichtig. Scholz: „Wir möchten ein Bild im Kopf erzeugen.“
So wurde diese Dienstleistung im September auch erstmals in der Geschichte der Paralympics in Rio bei elf Sportarten angeboten. Hawranke hat es getestet. „Für das Publikum war das Angebot echt gut, weil alles sehr allgemein gehalten wurde“, sagt er, „man kann das aber natürlich noch spezifischer machen.“ Dort wurde das Spielgeschehen per Radiofrequenz nacheinander auf Englisch und Portugiesisch beschrieben, dies sorgte für eine leichte Verzögerung – laut Hawranke war das aber ein guter Anfang.
Doch wie sieht es hier in Deutschland aus, wenn es nicht gerade um König Fußball geht? In der Basketball-Bundesliga gibt es keinen Verein, der diesen Service im Stadion anbietet. Beim Handball nehmen dagegen die Füchse Berlin seit fünf Jahren bereits eine Vorreiterrolle ein. Scholz kommentiert auch dort in der Max-Schmeling-Halle für etwa zehn Zuhörer pro Spiel. „Handball ist schneller, es passiert mehr, es gibt also auch mehr zu erzählen für uns Kommentatoren. Zudem ist das Feld kleiner, man hat eine bessere Übersicht.“ Fußball zu beschreiben finde er schwieriger als Handball.
Nun will auch der SC DHFK Leipzig, der aktuell seine zweite Erstliga-Saison spielt, dem Beispiel der Berliner folgen. Zusammengearbeitet wird eng mit den Fußballern von RB Leipzig. Erstmals angeboten wird die Audiodeskription im ersten Heimspiel des neuen Jahres. Peter Lomb kommentiert dann für die blinden Fans. „Beim Handball gibt es kein Hin- und Hergeschiebe des Balls, es ist eine ganz andere Moderation.“ Lomb arbeitet schon lange Zeit ehrenamtlich mit Menschen mit Behinderung. Eingeplant sind bei den Leipziger Handballern maximal zehn Zuhörer, Lomb möchte für die Zukunft das Projekt entwickeln und ein Team von vier Kommentatoren um sich aufbauen.
Es gibt also bereits Möglichkeiten, auch wenn es noch Einzelfälle sind. Hawranke bekennt allerdings, dass er Sport generell am liebsten zu Hause vor dem Fernseher verfolgt. Dann sitzt er auf dem Sofa, schaltet seinen Fernseher ein – und stellt die Rahmenbedingungen ein. Den Hintergrund dunkel, die Helligkeit runter, den Kontrast nach oben. „Im Optimalfall spurten dann helle Trikots auf einem dunkelgrünen Rasen hin und her“, sagt er, „dann kann ich es auch ganz gut verfolgen.“
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