Sport: Mehr Kids sollen hinter Gitter
Es gibt zu wenig Bolzplätze in der Stadt, beklagt der Landessportbund. Arme Kids sollen künftig umsonst im Verein kicken dürfen.
Seit zwei Tagen ist der Bolzplatz im Chamisso-Kiez wieder offen. Die Frage ist, wie lange. Das Bezirksamt-Friedrichshain Kreuzberg hatte das Areal im vergangenen September geschlossen, weil sich Anwohner über den Lärm und das Kindergeschrei beschwert hatten. "Irgendwas scheint in unserem Rechtsstaat schief zulaufen, wenn eine Klage reicht, um den Platz dicht zu machen," sagt Hakan Aslan, Leiter der benachbarten deutsch-türkischen Kinder und Jugendeinrichtung Wasserturm.
Der Konflikt im linksbürgerlichen Ökokiez am Chamissoplatz ist kein Einzelfall. Heiner Brandi, beim Landessportbund zuständig für Kinder und Jugendliche, spricht von einem Trend. "Immer mehr Bolzplätze sind von einer Schließung oder Einschränkung der Nutzungszeiten bedroht, weil sich Nachbarn oder Anwohner von dem Lärm belästigt fühlen." In 70 Fällen seien Platzschließungen bereits erfolgt beziehungsweise die Spielzeiten reduziert worden mit der Folge, dass die Bolzplätze in den Mittagsstunden und der Abendzeit nicht benutzen werden dürfen. Und das, obwohl es es in Berlin schon jetzt zu wenig Bolzplätze gebe, sagt Brandi. "Den Kindern die sportlichen Entfaltungsmöglichkeiten zu nehmen bedeutet, die jugendpolitischen Probleme zu verschärfen", sagt der Geschäftsführer der Sportjugend. Gerade Kinder, die sozial benachteiligt sind, müssten wenigstens Sport machen können, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen.
Von den 400.000 Berliner Kindern unter 15 Jahren leben laut Brandi mittlerweile 144.000 (36 Prozent) von Sozialgeld. Ihnen wollen Landesportbund und Senat in Zukunft ermöglichen, kostenlos in einen Sportverein zu gehen, verkündet der Jugendreferent des Landessportbundes. Das Projekt namens "Kids in die Clubs" solle nach den Sommerfereien starten. Vereine, die bedürftigen Kindern umsonst die Mitgliedschaft ermöglichten, bekämen aus Landesmitteln eine Strukturhilfe, um die ausgefallenen Beiträge zu kompensieren. "Der Vereinsbeitrag ist für Eltern, die von Sozialgeld leben, oft eine Barriere".
Wenn Brandi über Sport spricht, hat er aber auch die Jugendgewalt im Blick, die in Berlin im Unterschied zur allgemeinen Jugendkriminalität seit Jahren steigt. 70 Prozent der bei der Staatsanwaltschaft registrierten Intensivtäter haben einen Migrationshintergrund. Am heutigen Mittwoch veranstalten der Staatssekretär für Sport, Frank Härtel (SPD) und Polizeipräsident Dieter Glietsch eine Pressekonferenz zum Thema "Jugendgewalt und Prävention, eine Herausforderung für Staat und Gesellschaft". Zu den geladenen Referenten gehört auch Brandi. Der Sportbund betreibt mehrere Projekte zur Gewaltprävention, die mit vier Millionen Euro pro Jahr aus dem Landeshaushalt gefördert werden.
Damit wird zum Beispiel das Kick-Projekt finanziert, das straffällig gewordene Jugendliche wieder einzugliedern versucht, oder auch Sportjugendclubs in sozialen Brennpunkten. "Sport ist kein Allheilmittel für die sozialen Probleme," sagt Brandi. Aber Sport sei ein wichtiges Medium um Jugendliche anzusprechen und sie für andere Angebote, wie Qualifizierungsmaßnahmen, zu begeistern. "Sport hilft lernfähig zu werden."
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