: Spitzeln für das Sozialamt
■ Der Prüfdienst des Sozialamts Neukölln spürt Paaren ohne Trauschein nach. Partner wird zur Kasse gebeten. CDU schürt Stimmung gegen Sozialhilfeempfänger
Zwei Mitarbeiter des Neuköllner Sozialamts sind seit März für einen internen Prüfdienst abgestellt. Sie prüfen, ob beantragte Sozialleistungen auch berechtigt sind. Dabei kam der Prüfdienst auch „mehreren“ Fällen auf die Spur, wo Paare ohne Trauschein ihre eheähnliche Gemeinschaft vor dem Sozialamt verschwiegen hatten. Nach dem Sozialhilfegesetz muß ein berufstätiger Partner in einem vertretbaren Umfang für den Unterhalt des bedürftigen Partners aufkommen, wenn eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegt.
Die sozialpolitische Sprecherin der CDU, Annelies Herrmann, die sich gestern für eine „intensive Bekämpfung“ des Mißbrauchs von Sozialleistungen aussprach, schlug vor, nach Neuköllner Vorbild auch in anderen Bezirken ein oder zwei Mitarbeiter für einen internen Prüfdienst abzustellen. Sie schätzt, daß zwei Prozent der Sozialhilfeempfänger zu Unrecht Leistungen beziehen.
Die Neuköllner Sozialstadträtin Stefanie Vogelsang (CDU) erklärte, daß das Verschweigen der eheähnlichen Lebensgemeinschaft der „Hauptbetrugspunkt“ sei. In den entdeckten Fällen sei nicht die Hilfe zum Lebensunterhalt eingestellt worden. Die besserverdienenden Partner müßten jedoch einen höheren Mietanteil übernehmen. Auch Anträge für die Renovierung der Wohnung oder für einen neuen Kühlschrank würden nicht übernommen. Insgesamt habe der Einsatz des Prüfteams seit März Einsparungen in Höhe von 100.000 Mark erbracht, so Vogelsang, die zugleich versicherte: „Wir wollen keinen Überwachungsstaat.“
Die Kreuzberger Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) lehnte den Einsatz eines zusätzlichen internen Prüfdienstes ab: „Jedes Sozialamt geht Hinweisen auf Mißbrauch selbstverständlich nach.“ Sie kritisierte die Debatte um sozialen Mißbrauch als „gefährlich und populistisch“.
In den meisten Bezirksämtern gibt es bereits einen Ermittlungsdienst bei der Abteilung Personal und Verwaltung. Doch in Wilmersdorf ist die Entwicklung eine andere als in Neukölln. Dort wird unter dem Druck der leeren Kassen derzeit sogar darüber nachgedacht, die beiden Stellen einzusparen. „Das rentiert sich nicht“, erklärte die Wilmersdorfer Sozialstadträtin Martina Schmiedhofer (Bündnisgrüne). Die Sozialamtsmitarbeiter können bei Verdachtsfällen ohnehin prüfen, ob ein Antragsteller bereits Arbeitslosengeld oder -hilfe bezieht. Auch ein automatischer Datenabgleich zwischen den 23 Bezirksämtern ist vom Datenschutzbeauftragten abgesegnet. Es fehle nur noch eine Rechtsverordnung des Bundes. Dorothee Winden
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