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Spione in der alten Bundesrepublik

■ Bundesanwaltschaft klagt Desinformationsspezialisten an

Berlin (taz) – Wegen übler Nachrede, Urkundenfälschung und Spionage sollen sich erstmals führende Offiziere der Desinformationsabteilung X des DDR- Auslandsspionagedienstes HVA vor Gericht verantworten müssen. Die Karlsruher Bundesanwaltschaft hat gegen den früheren Leiter der Abteilung, den 64jährige Ex-Oberst Wolfgang Wagenbreth, seinen Stellvertreter Rolf Rabe (57) und den letzten kommissarischen Leiter der Abteilung, Wolfgang M. (58) Anklage beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht erhoben. Angeklagt wird auch der Kieler Journalist Bernd Michels; er soll als langjähriger Referent des SPD-Landeschefs Günther Jansen und als Sprecher der Landes-SPD für die Desinformationsfachleute spioniert und außer dem „Vaterländischen Verdienstorden“ in Bronze 120.000 DM erhalten haben.

Sollte das Oberlandesgericht die Anklage zulassen, wird vor dem 2. Strafsenat eine Reihe schillernder Skandale der Altbundesrepublik verhandelt, die auf gezielten Falschinformationen des DDR-Spionagedienstes beruhten. So richtete sich eine der ersten Kampagnen gegen den früheren Bundespräsidenten Heinrich Lübke. Eine Bauskizze für die Errichtung von Wohnbaracken in Konzentrationslagern wurde so verfälscht und 1968 lanciert, daß der Eindruck entstehen mußte, Lübke habe als Ingenieur unzweideutig den Verwendungszweck der Baracken gekannt.

Neben diversen fiktiven Pressediensten und gefälschten Positionspapieren, die jahrelang in CDU, CSU und SPD die Flügelkämpfe forcierten, produzierte die Abteilung X auch 1978 ein fiktives Verhörprotokoll der RAF mit dem entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer. Das Papier erweckte den Eindruck, einer Befreiung des später ermordeten Schleyers habe die Sorge entgegengestanden, er könne interne Kenntnisse über führende Politiker und Geschäftsleute offenbaren.

Ein Glanzstück der Desinformation war ein während der Barschel-Affäre gefälschtes Schreiben, das nach dem Selbstmord des CDU-Politikers lanciert wurde. In dem Brief beschuldigte Barschel den damaligen Bundesfinanzminister und Parteifreund Stoltenberg der Mitwisserschaft an seinen Machenschaften. Selbst die Witwe Barschels hielt den Brief für authentisch.

Den Angeklagten wirft die Bundesnwaltschaft vor, sie hätten durch „die operative Planung und unmittelbare persönliche Steuerung“ die Arbeit der Desiformationsabteilung persönlich zu verantworten. Der Journalist Michels wird beschuldigt, er habe spätestens im Herbst 1973 den „nachrichtendienstlichen Charakter“ seiner Beziehungen erkennen müssen. Seine Informationen seien von der HVA „regelmäßig mit guten bis sehr guten Benotungen versehen“ worden. Wolfgang Gast

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