: Spießerkram statt Sozialismus
Über das Scheitern des österreichischen Sozialismus aus heutiger Sicht: Donnerstagabend ist Elisabeth Scharangs essayistische Dokumentation „Normale Zeiten“ im Lichtmeß-Kino zu sehen
„Das war kein Sozialismus, das war Spießerkram“, trällert es zur Musik einer Agitprop-Singegruppe aus dem Off. Zuvor war ein Wahlkampfstatement Bruno Kreikys aus dem Jahr 1970 zu hören, in dem er den SPÖ-Wählern im Tausch für das Vertrauen in die sozialdemokratische Politik tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen versprach. Damit beginnt das dokumentarische Filmessay Normale Zeiten von Elisabeth Scharang, das Donnerstagabend im Lichtmeß-Kino gezeigt wird.
Im Sommer 1972 hat der österreichische Autor Michael Scharang für den WDR ein dokumentarisches Hörspiel mit dem Titel Das Glück ist ein Vogerl produziert, das aus Gesprächen mit sechs Arbeitern und Arbeiterinnen bestand. Ziel war es, Arbeitern eine Öffentlichkeit zu geben und die Wahlversprechen mit deren Wirklichkeit zu konfrontieren. Die 1969 geborene Regisseurin lässt nun in ihrem 28 Jahre später gedrehten Film die Hörspielprotagonisten von damals über ihre Vergangenheit und ihre Erfahrungen berichten und schafft dadurch ein eigenwilliges Porträt österreichischer Zeitgeschichte.
Das einstige Versprechen der Kreisky-Regierung, Österreich nach dem Modell des Wohlfahrtsstaats und durch einen Reformismus von oben in eine moderne und vom allgemeinen Wohlstand geprägte Nation zu verwandeln, konfrontiert der Film mit der Realität, indem politische Propagandafilme unterschiedlicher österreichischer Parteien mit Dokumentaraufnahmen aus den 70er Jahren und den Erinnerungen und früheren Erwartungen der Protagonisten montiert werden.
In einem in Westernmanier inszenierten Video des Schlagerduos Waterloo & Robinson zu dem Lied „Good Old Hollywood is Dying“ tauchen – neben Aufnahmen aus einen Rededuell zwischen Kreisky und seinem Vorgänger Klaus – Bilder einer Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau auf und bilden so einen reichlich skurrilen Abgesang auf unterschiedliche Illusionen der Vergangenheit. Die Schnulze steht in diesem Film aber auch als Zeichen für den Charakter der österreichischen „68er“-Bewegung, die sich erst in den 70er Jahren überhaupt bemerkbar machte.
Das Unbehagen der damaligen Jugendlichen schildert der Film als wesentlich antiautoritär und nur bedingt revolutionär oder antikapitalistisch: Es richtete sich in erster Linie gegen überkommene Traditionen. Veränderungen wurden mit der Gründung von WGs angestrebt, um dem elterlichen Mief zu entgehen, mit dem Modell der freien Liebe als Möglichkeit der Selbstverwirklichung und mit selbständigen Kinderläden, die den Frauen einen eigenen beruflichen Weg ermöglichen sollten.
Mag sich in all dem auch eine Tendenz zur Systemkritik verborgen haben, so wurde sie durch die Institutionen aufgefangen. „Man nahm dem Ganzen die Schärfe, indem man es ein bissl gestreichelt hat“, erklärt eine der Protagonistinnen. So wird zwar auf der Versammlung der KPÖ-Ortsgruppen-Veteranen noch heute „Spaniens Himmel“ gesungen und zumindest rhetorisch an der Systemopposition festgehalten, das Ganze erinnert aber eher an Kabarett im Seniorenheim.
Donnerstag, 20 Uhr, Lichtmeß
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