piwik no script img

SpielzeitauftaktAufbruch in die Stadt

Am Theater Lüneburg herrscht Aufbruchstimmung: Erst hat der neue Intendant Hajo Fouquet ein festes Ensemble installiert, um dann mit einer Fülle von Premieren und einem Schauspielerumzug in die neue Spielzeit zu starten.

So sieht Fouquets Inszenierung von Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen" am Theater Lüneburg aus. Bild: Theater Lüneburg

"Eigentlich könnte ich mir im Theater schon ein Bett aufstellen", sagt Reiner Faulhaber über die ungewohnte Premierendichte im Theater Lüneburg in diesen Tagen. Vier Premieren - angefangen im großen Haus bis zu den Studiobühnen - innerhalb einer Woche, das ist verglichen mit früher viel. 1977 war Reiner Faulhaber in seiner Funktion als Kreisdirektor und Freundeskreisgründer die treibende Kraft, das zugrunde gehende Haus vor dem endgültigen Untergang zu bewahren.

Von Untergang kann nun längst nicht mehr die Rede sein, eher vom Gegenteil. Der neue Intendant Hajo Fouquet, der zur Spielzeit 2010/11 gekommen ist, will aus dem Theater frei nach Leibniz "die beste aller möglichen Welten" machen. Freundeskreis-Gründer Faulhaber findet nicht nur die künstlerischen Ideen von Fouquet interessant, sondern auch die Öffnung nach außen wie das Theaterlernfest oder den Umzug der neuen Ensemblemitglieder zu Spielzeitbeginn durch die Innenstadt. Allein beim Theaterfest habe der Freundeskreis 25 neue Mitglieder gewonnen, sagt Faulhaber.

Über ein Jahrzehnt dümpelte das kleine dreispartige Stadttheater als Bespieltheater mit Gastsängern und -schauspielern vor sich hin. Entwickelt hat sich einzig das vor einem Jahr auf Betreiben von Landkreis und Stadt ins Leben gerufene Kinder- und Jugendtheater "Junges Theater T3".

Das ist Hajo Fouquet

Geboren 1956 in Braunschweig und aufgewachsen in Hamburg. Erste Sporen im Kinderchor der Hamburgischen Staatsoper.

Studium der Germanistik, Musikwissenschaften und Psychologie.

Nach dem Studium: Vier Jahre Spielleiter an der Oper Frankfurt/M. unter der Intendanz von Michael Gielen.

Wichtige Erfahrungen dort durch Arbeiten mit Ruth Berghaus, Herbert Wernicke und Alfred Kirchner.

Hausregisseur am Musiktheater in Gelsenkirchen.

Produktionsleiter und Prokurist beim Musical "Buddy" in Hamburg.

Arbeiten als freier Regisseur.

Zuletzt stellvertretender Intendant des Staatstheaters Mainz.

In die neue Spielzeit startet Fouquet mit Elan, aber trotzdem kühl kalkulierend. Fouquet, 54, sagt von sich selbst: "Ich bin kein junger Wilder, ich bin ein alter Sack." Er war bis Juli 2010 Operndirektor und Künstlerischer Betriebsdirektor am Staatstheater Mainz. Dort setzte er Akzente durch Opernausgrabungen, Kooperationen mit Festspielen und der Mitgründung des Jungen Ensembles des Musiktheaters.

In Lüneburg installierte er als Erstes ein elfköpfiges festes Schauspielensemble und stockte das Sängerensemble von drei auf acht auf. Im Ballett bleiben neun feste Tänzer. "Die Künstler sind für einige Jahre ein Teil unseres Theaters, aber eben auch ein Teil dieser Stadt Lüneburg. Sie arbeiten und leben hier." Seiner Überzeugung nach sei diese regionale Identifikation für die Theaterleute wie auch für das Publikum wichtig. "Wir wollen die Welt zwar nicht verändern, aber bei der Betrachtung der Welt helfen und andere Blickwinkel aufzeigen. Wenn wir das nicht offen und bürgernah leisten, dann sind wir ersetzbar."

Für Fouquet muss "gutes Stadttheater Forschung und Lehre" zugleich leisten. Mit einem Theater als offenem Ort. Deshalb auch vor einigen Wochen der Umzug der Künstler durch die Lüneburger Innenstadt: "Das war ein ganz liebevoller, fast altmodischer Start, der in der Stadt aber einen regelrechten Theater-Hype ausgelöst hat. Und ich, ich bin der Vortänzer!" Aber, holt der Intendant, dessen Inszenierung von Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" die Spielzeit eröffnete, quasi im selben Atemzug weit aus: "Auch wenn Theater ein total hierarchischer Laden ist - wichtig ist doch, dass allen klar ist: am Erfolg hat jeder seinen Anteil. Das fängt beim Pförtner Leo an und hört beim Darsteller des Hoffmann auf."

Pförtner Leo Hellfeuer arbeitet seit 16 Jahren im Lüneburger Theater. Er hat schon so manche kommen und gehen sehen. "Jetzt haben wir so viele Neue auf einen Schlag", sagt er aus seinem gläsernen Kasten heraus. Diese Aufbruchsstimmung sei richtig ansteckend.

Einzig der Etat von 7,2 Millionen Euro bleibt unverändert. Für Fouquets Optimismus ist das absolut kein Hinderungsgrund: "Es geht gar nicht darum, mit wenig Mitteln Theater zu machen. Es geht darum, die Mittel, die zur Verfügung stehen, zu akzeptieren. Man muss ein Programm gestalten, das sich mit den vorhandenen Mitteln realisieren lässt. Es muss den Maßstäben und Möglichkeiten des Hauses entsprechen."

Es wäre beispielsweise "völlig idiotisch", im Lüneburger Theater Richard Wagners "Der Ring der Nibelungen" zu inszenieren. Die richtige Programmauswahl sei entscheidend dafür, ob man eine hohe Qualität bekomme oder nicht. "Mein oberstes Ziel in finanzieller Hinsicht ist: Keine Kürzungen und ein Etat, der alle Tariferhöhungen mitträgt", sagt der Intendant, der in 2011 mit dem Land Niedersachsen, das 51 Prozent des Theateretats zahlt, neu verhandeln muss. Stadt und Landkreis Lüneburg geben jeweils 24,5 Prozent.

Die Stückauswahl für das Repertoire der neuen Spielzeit ist programmatisch. Die erste Schauspielpremiere ist "Candide oder der Optimismus", eine Adaption des gleichnamigen Voltaire-Romans, inszeniert vom neuen Oberspielleiter Udo Schürmer. Während Voltaire seinen Helden mit verbittertem Sarkasmus und Pragmatismus "seinen Garten bestellen" lässt, darf er in Lüneburg trotz aller Widrigkeiten, die es eben auch "in der besten aller Welten" gibt, zumindest im Geiste mit einem "Juchej" weitergärtnern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!