Spielfilm über Korruption im Iran: Die Eskalationen des Alltags

„Eine respektable Familie“ von Massoud Bakhshi zeigt die bizarre Bürokratie und Gewalt des Landes. Nach fünf Jahren hat er es hier in die Kinos geschafft.

Frauen in schwarzer Kleidung trauern

Der Krieg fordert Opfer, die Familie aber auch Foto: EZEF

Kurz ist die Fahrt zum alten Teheraner Flughafen Mehrabad. Nachdem das Taxi Arash Saafi abgeholt hat, fragt der Fahrer, ob er noch einen Freund mitnehmen darf. Arash Saafi stimmt zu. Wenig später steigen zwei stämmige Männer ins Auto, fallen über Arash Saafi her und beginnen ihn zu durchsuchen. Den Flughafen wird er an diesem Abend nicht erreichen.

Gut ein halbes Jahr zuvor ist der Wissenschaftler für einen Lehrauftrag an der Universität von Schiraz nach 22 Jahren zum ersten Mal aus dem europäischen Ausland in den Iran zurückgekehrt. Eine Rückkehr, die ihn mit seiner Familie konfrontiert: Seit dem Tod seines Bruders Amir als „Märtyrer“ im iranisch-irakischen Krieg Anfang der 1980er Jahre hat sich die Familie gespalten. Während der Vater mit seiner Zweitfrau und deren Sohn in Teheran lebt, ist Arash Saafis Mutter zu einer Schwester nach Schiraz gezogen und hat den Kontakt zu ihrem Mann abgebrochen. Auch eine tödliche Erkrankung des Vaters hat daran nichts geändert.

Zermürbt von den politischen Schikanen, auf die er bei der Lehre an der Universität stößt, beschließt Saafi, wieder abzureisen. Wochenlang bemüht er sich vergeblich um eine Ausreisegenehmigung. Dass er keinen Militärdienst geleistet hat, ist plötzlich zum Hindernis für die Rückkehr nach Europa geworden. Kurz bevor er deswegen nach Teheran fliegt, bekommen er und seine Mutter Besuch vom Anwalt des Vaters, der sie über eine größere Schenkung des Vaters als vorgezogener Anteil am Erbe informiert. Wenig später taucht Neffe Hamed plötzlich in der Universität auf und erzählt, er habe Arash Saafis Vater im Krankenhaus in Teheran versprechen müssen, nur mit dessen Sohn zurückzukehren. Unwillig stimmt Arash Saafi zu, die ohnehin notwendige Reise nach Teheran mit einem Besuch im Krankenhaus zu verbinden.

Der iranische Regisseur Massoud Bakhshi beginnt sein Spielfilmdebüt „Eine respektable Familie“ mit der Taxifahrt zum Flughafen, die gewaltsam endet, und rollt anschließend die Geschichte bis zu diesem Punkt auf.

Ein komplexes Gefüge

Rückblenden erzählen die Familiengeschichte, zeigen Arash Saafis Kindheit, in der er dem gewalttätigen Vater ausgesetzt war; zeigen das Begräbnis seines Bruders und wie der Vater die trauernde Mutter anschließend in eine Klinik einweisen lässt. Ergänzt wird dieses komplexe Gefüge durch Archivaufnahmen aus der Zeit des iranisch-irakischen Kriegs und durch Ansprachen des damaligen Staatsoberhaupts Ruhollah Chomeini an junge iranische Soldaten. Es ist keine kleine Leistung des Regisseurs, dass man als Zuschauer bei dieser Vielzahl von Ebenen und Materialien nicht die Übersicht verliert.

Die Figur Arash Saafis hilft bei dieser Orientierung. Durch seine lange Zeit im Ausland blickt er nicht ohne Irritationen auf den iranischen Alltag. Die bizarre Bürokratie, die darauf angelegt ist, durch Bestechungszahlungen umgangen zu werden, irritiert ihn ebenso wie wiederholte Gewaltausbrüche auf den Straßen: Immer wieder eskalieren Alltagssituationen bis hin zu einer Massenschlägerei auf offener Straße, während er im Auto wartet. Eine Gewalttätigkeit, die sich in Arash Saafis Erinnerungen einfügt. In einer Rückblende ist zu sehen, wie der Nachbarjunge vor den Augen des jungen Arash ein kleines Kätzchen mit Benzin übergießt und tötet. Wortkarg gleitet Arash Saafi durch den iranischen Alltag, der ihm erkennbar fremd geworden ist und aus dem er am liebsten umgehend wieder fliehen möchte.

Wortkarg gleitet Arash Saafi durch den iranischen Alltag, der ihm erkennbar fremd geworden ist

In den gut beobachteten, realitätsnah inszenierten Gewaltszenen wird Massoud Bakhshis Hintergrund als Dokumentarfilmregisseur sichtbar. In einem kurzen Ausschnitt aus einem nicht fertiggestellten Filmprojekt von Amir Naderi, den Arash Saafi seinen Studierenden zeigt, zeigt sich der Regisseur als Cineast. Die Aufnahmen entstammen einem Film, den Amir Naderi Mitte der 1980er Jahre in der Nähe der Stadt Chorram­shahr drehte, die zum Schauplatz einer der entscheidenden Schlachten des iranisch-irakischen Kriegs werden sollte. Die Aufnahmen Naderis fungieren in „Eine respektable Familie“ wie ein Gegenpunkt zu den sonstigen, offiziellen Bildern aus dem iranisch-irakischen Krieg.

Die Reaktion der Universitätsleitung, die Saafi umgehend zu sich zitiert, als sie die Vorführung sieht, zeigt, wie hoch politisch die Erinnerung an Zeitgeschichte im Iran ist. Überdies ist der Ausschnitt eine Verneigung Massoud Bakhshis vor Naderi.

Das entgleiste Leben

Bevor Bakhshi 2012 mit „Eine respektable Familie“ sein Spielfilmdebüt gab, arbeitete er zunächst als Filmkritiker. 1999 nahm er ein Regiestudium in Italien auf und drehte seitdem zehn Dokumentarfilme. Der bekannteste dieser Dokumentarfilme, „Teheran has no more Pomegranades“ von 2007, unternimmt auf schlitzohrige Weise einen Ausflug in 150 Jahre Vergangenheit Teherans, angeblich, um den gegenwärtigen Zustand der Stadt zu preisen. Derzeit arbeitet Bakhshi an einem zweiten Spielfilmprojekt mit dem Titel „Yalda“ über eine junge Frau, die wegen des Tods ihres Manns zum Tode verurteilt wurde. Wie „Eine respektable Familie“ entsteht „Yalda“ in Koproduktion mit zahlreichen europäischen Ländern.

„Eine respektable Familie“ ist eine interessante Brücke zwischen zwei Regiegenerationen des Iran: Wie der Festivalliebling Asghar Farhadi ist Bakhshi 1972 geboren. Beide Regisseure gehören einer Generation von Filmemachern an, die stark den Traditionen des europäischen Kinos und der konventionellen Narration verpflichtet sind. Mit etwa zehn Jahren Abstand folgt ihnen eine Generation von Regisseuren wie Abed Abest (geboren 1987) und Reza Dormishian (geboren 1981), die nach Bildern und narrativen Strukturen suchen, um die Gewalttätigkeit des iranischen Alltags sichtbar zu machen.

„Eine respektable Familie“. ­Regie: Massoud Bakhshi. Mit Babak Hamidian, Mahrdad Sedighian u. a. Iran/Frankreich/Schweiz/Italien/Deutschland 2012, 86 Min.

Abed Abest wählte in seinem Spielfilm „Simulation“ dafür jüngst die Abstraktion, deutete Räume und Rollen in einem Film über die Rekonstruktion eines kleineren Verbrechens nur an. Reza Dormishian hingegen perfektioniert die Darstellung von Alltag, Gewalt und Repression schon über mehrere Filme hinweg: Dormishians vorletzter Film „I Am Not Angry“ zeigt das entgleiste Leben eines Studenten, der nach der „Grünen Revolution“ von 2009 von der Universität fliegt und zunehmend jeden Halt verliert. „Lantouri“ von 2016 legt patriarchale Gewalt und die Gewalttätigkeit des Justizsystems gleichermaßen offen.

„Eine respektable Familie“ ist dem Blick der Filme der jüngeren Generation näher. Bakhshi verzichtet zugunsten eines sozialen Realismus jedoch auf die Härte der Darstellung, die Reza Dormishians Filme auszeichnet – und gewinnt ein vielschichtiges Bild des heutigen Iran.

Massoud Bakhshi durchwebt ein Familienporträt mit Thrillerelementen und legt die Nervenlinien der iranischen Gesellschaft offen. Es ist ein Glücksfall, dass der Film fünf Jahre nach der begeisterten Aufnahme durch das Publikum in Cannes doch noch seinen Weg in die deutschen Kinos findet. Hoffen wir, dass es bei „Yalda“, Bakhshis nächstem Film, nicht noch einmal so lange dauert.

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