Spielend durch die Finanzkrise: Die Lust der Zocker
Hypotheken gibt es nicht, Kredite sind begrenzt: Bei vielen Brettspielen wird verantwortungsvoll mit Geld umgegangen. Wären Spieler nicht die besseren Banker?
Die großen Scheine knallen nur so auf den Tisch. Hunderter oder Fünfhunderter in großen Bündeln: Endlich spielt Geld keine Rolle mehr, Bankenkrise hin oder her. Schließlich sind die Fünfhunderter, die Gabriele gerade großzügig abzählt, nur Spielgeld. "Das fühlt sich gut an, ein bisschen wie Rache", grinst sie durch zusammengebissene Zähne hindurch. Ihre drei Mitspieler lachen zustimmend.
Mag die Altersvorsorge vorläufig entwertet sein oder das eigene Haus von den Banken verzockt - an der Lust, selbst zu zocken, ändert das nichts. "Hab & Gut" heißt das gerade erschienene Brettspiel, bei dem die vier Essener es an der Börse ordentlich krachen lassen. Der Untertitel auf dem farbigen Karton lautet: "Reich ist gut, reich und gut angesehen ist besser." Ein bisschen liest sich das wie der Warnhinweis auf Zigarettenpackungen: Auf kleiner Leute Kosten reich werden gefährdet Ihre Gesundheit. Denn die "aufstrebenden Industriebarone der Gründerzeit", so heißt es im Regelheft, sollen "zielstrebig durch geschickten Handel mit Aktien ihre Gewinne vergrößern". Zugleich warnt der Italiener Carlo Rossi, der "Hab & Gut" erfunden hat: "Mit Geldscheffeln allein ist es nicht getan." Deshalb muss man im Spiel auch spenden, für die gute Sache, versteht sich.
Die Gewinner: Als "sichere Bank" für den Handel feiert der Branchenverband "Fachgruppe Spiel" das Geschäft mit Gesellschaftsspielen und Puzzles, das seit Jahren fast ein Fünftel des Spielwaren-Marktes ausmacht. Nicht nur Familien, auch Erwachsene spielen immer mehr. "German Games" wie die Siedler von Catan oder Carcassonne sind mittlerweile millionenfach gedruckte Welterfolge.
Die Verlierer: Immer mehr der kleinen Spieleläden, die zum Erfolg der vergangenen Jahre beigetragen haben, müssen wegen des Preisdrucks vor allem durch Internetversender schließen.
Sich als Kapitalisten mit menschlichem Antlitz auszuprobieren, kommt an, sagt Michael Tschiggerl von Carlo Rossis Verleger Winning Moves. "Wer bei Hab & Gut am wenigsten für wohltätige Zwecke spendet, hat automatisch verloren", erläutert er und setzt nach: "Das ist genau anders als in der Realität: Derzeit spenden wir Steuerzahler ja den Banken, nicht umgekehrt." Im Spiel gibt es sie halt noch, die Unternehmer, die nicht auf den Shareholder Value achten müssen. Auf den eigenen Reichtum allerdings schon, von den Almosen abgesehen. Denn gewonnen hat natürlich auch bei "Hab & Gut" am Schluss der reichste Zocker.
Konkurrenten ausstechen, Geld anhäufen und der Allerreichste sein: Dieses Leitmotiv der Spielewelt ist nicht totzukriegen, auch nicht durch eine Weltwirtschaftskrise. Sogar eine Art Gegenbewegung macht Tschiggerl in diesem Jahr aus. "Im Spiel kann man mit Geld einfach mal was machen, was in der Realität nicht möglich ist." Ein Konzept, das Investmentbankern nicht unbekannt sein dürfte. "Kohle" heißt eine andere Neuerscheinung. Da investiert der eine in die Textilindustrie, der andere setzt darauf, dass die Stahlproduktion die erhofften Millionen bringt. Das Ziel: "Mit Volldampf zum Reichtum."
Besonders gut lachen hat der US-Spielegigant Hasbro, der früher Parker hieß. Wenn es ein offizielles Spiel zur Immobilienkrise gäbe, dann wäre es dieses: Monopoly. Der Erfolg des mehr als 70 Jahre alten Dauerbrenners, wo überteuerte Grundstücke oft ohne Sinn für Rentabilität erworben, Häuser und Hotels auf schwacher Kapitalbasis gebaut werden und schließlich Spieler unter ihren Hypothekenlasten zugrunde gehen, ist ungebrochen. "Im vergangenen Jahr haben wir allein in Deutschland 750.000 Spiele verkauft", weiß Hasbros PR-Frau Rafaela Hartenstein. Damit das so bleibt, gibt es in diesem Jahr eine Neuausgabe, "im Zeichen der Globalisierung", auch wenn die gerade zu scheitern droht. Statt Schlossallee und Parkstraße prangen angebliche Weltmetropolen auf dem Spielbrett, ausgewählt von mehr als fünf Millionen Internetnutzern. Deutsche Städte sind nicht dabei, auch Entwicklungsländer schnitten schlecht ab bei der Web-Abstimmung, realistisch irgendwie. Ebenso realistisch sind die Kreditkarten, mit denen die Spieler ihre Schulden begleichen - mit Spielgeld gibt man sich beim neuen Monopoly nicht mehr ab.
Hartenstein lächelt auf das Display des Kartenlesegeräts, während in erschreckender Geschwindigkeit das Guthaben von sechs- auf vierstellig zusammenschmilzt. So etwa muss es sich anfühlen, wenn man den DAX in Echtzeit verfolgt. Sie glaubt an den Erfolg der neuen Edition: "Monopoly ist in der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre groß geworden; wenn die Zeiten schlecht sind, rückt man am Spieltisch näher zusammen." Und vernichtet virtuelle Millionen: "Das ist wie bei den Aktienkursen, mal gehts rauf, mal gehts runter." Und wenn es zu weit runtergeht, dann hat die Bank beim neuen Monopoly World eine weitere Idee aus dem echten Leben adaptiert. Die heute kaum noch realistische Beleihung von Häusern durch Hypotheken fällt weg, stattdessen wird mit einem Druck auf den "Deal Button" des Kartenlesers gleich zwangsversteigert.
Überraschend eigentlich, dass in diesem Jahr bei der Laudatio zum Deutschen Spielepreis ein Verleger forderte: "Man sollte ein Spiel machen, das den Bankern erklärt, was sie falsch gemacht haben." Es wurde gelacht unter den Spieleautoren im Saal. Manch einer von ihnen kennt sich aus in der Welt der Wirtschaft, so wie Carlo Rossi, im Hauptberuf Marketingmanager, oder Reiner Knizia, der früher einen Baufinanzierer in England geführt hat. "Da haben wir schon große Räder gedreht, sicher so zweieinhalb Milliarden im Jahr", erinnert sich Knizia, der inzwischen als einer von wenigen Autoren das Spieleerfinden zum Hauptberuf gemacht hat. In diesem Jahr ist er mit Auszeichnungen überhäuft worden, sein "Keltis" wurde Spiel des Jahres, "Wer wars" gewann zwei Kinderspielpreise. Sind Banker bessere Spieleerfinder? "Nein, das hat miteinander nicht viel zu tun", gibt sich Knizia zurückhaltend. Könnte manch ein Banker denn wenigstens am Spieltisch seine Fähigkeiten trainieren und davon im realen Leben profitieren? "Ich glaube nicht, dass Spiele eine Simulation sind, aber soziales Miteinander ist etwas, das jeder Spieler lernt." Das geforderte Spiel, das den Schuldigen der Bankenkrise ihre Fehler erläutert, hält er für Humbug. "Niemand will im Spiel bekehrt werden; die Leute wollen Spaß haben, Sorgen haben sie schließlich schon genug."
Andere sind weniger rücksichtsvoll. "Das Gegenteil von Spiel ist nicht Ernst, sondern harte Arbeit", wettert etwa der Bremer Spieleautor Friedemann Friese. "Wenn das nicht mehr so ist, hat man ein Problem." Friese, der seine Haare stets grün gefärbt und gelgestärkt trägt, weiß, wovon er spricht. Jahrelang hat er in seiner Wohnung im Ostertorviertel eigenhändig Holzsteine in die Kartons seiner selbst produzierten Spiele einsortiert. Mittlerweile verkauft er seine professionell gestalteten Spiele sogar ins Ausland, "Funkenschlag" etwa, ein komplexes Wirtschaftsspiel, bei dem die Spieler funktionierende Stromnetze aufbauen, Städte ans Netz anschließen und den erforderlichen Rohstoffnachschub sichern müssen. In diesem Jahr präsentiert Friese die x-te Erweiterung, in China und Korea können sich die Fans jetzt umtun. Wären denn Spieler vielleicht die besseren Banker? Friese ist skeptisch. "Wir haben doch eher das Problem, dass die Banker zu Spielern geworden sind."
Wer will, der kann an den Spieltischen der Republik in diesem Jahr auch eine Art Aussteigertum beobachten, eine Rückkehr zu den Wurzeln, wo nicht Geld, sondern nur die Frucht eigener Hände Arbeit zählt. "Agricola" ist so ein Spiel, bei dem Landwirte die Scholle beackern und versuchen, Getreideanbau, Viehzucht und Familienplanung unter einen Hut zu bringen. Der Erfolg misst sich in Nährwert statt in Euro. Für das mit dem Deutschen Spielepreis bedachte Spiel hat sich Autor Uwe Rosenberg gleich auch die passende Werbekampagne einfallen lassen. Außer Spielen verkauft er neuerdings auch "Agri-Cola", vom mittelständischen Unternehmer lokal abgefüllt und gegen eine Spende zu haben. "Die leiten wir weiter an ein bedürftiges Volk im Süden Äthiopiens", kündigt Rosenberg an.
Wem das dann doch zu ökig ist, der tobt sich in Alternativwelten aus, die mehr oder weniger von der Realität entfernt sind. Im Rollenspiel "Shadowrun" operieren die Spieler in bester Cyberpunk-Manier als opportunistische Semihelden in den "Schatten", die die Wolkenkratzer der allmächtigen Konzerne auf die Welt werfen. Regierungen gibt es nicht mehr, die globalen Unternehmen haben alles im Griff. Oft auch die Spieler, die nicht selten als Industriespione bei der Konkurrenz unterwegs sind. Noch einen Schritt weiter geht Andreas Schnell, der mit "Heredium" ein Endzeitrollenspiel entwickelt hat, das im Jahr 2190 spielt. "Wirtschaft gibt es nicht mehr, die Konzerne sind längst im allgemeinen Chaos untergegangen." Immerhin, über Aktienverluste trauert dann niemand mehr.
Spieletipps:
Carlo Rossi: Hab & Gut, 3-5 Spieler ab 10 Jahren, Winning Moves, ca. 25 € Martin Wallace: Kohle, 3-4 Spieler ab 12 Jahren, Pegasus Spiele, ca. 40 € Friedemann Friese: Funkenschlag, 2-6 Spieler ab 12 Jahren, 2F-Spiele, ca. 40 € Uwe Rosenberg: Agricola, 1-5 Spieler ab 12 Jahren, Lookout Games, ca. 40 € Andreas Schnell: Heredium, beliebig viele Spieler, 13Mann, ca. 40 €
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